Ja, was haben wir denn da?

Der Beitrag wurde ursprünglich am 11.10.2012 auf dem Blog Waffenrecht in Berlin veröffentlicht. Die gestern hier veröffentlichte Entscheidung des VG Stuttgart v. 13.08.2013 ist Anlaß, hier die zuvor von derselben Kammer erlassene Entscheidung erneut vorzustellen:

Das Betretensrecht der Behörde und der damit verbundene Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung, Art. 13 GG, ist seit Jahren Gegenstand heißer Diskussionen. Auf der einen Seite

  • die rechtschaffenen Waffenbesitzer, die sich kriminalisiert fühlen und zu Recht darauf verweisen, daß auch bei einem Schwerkriminellen die Wohnung nicht ohne richterlichen Durchsuchungsebeschluß dursucht werden darf, der voraussetzt, daß bestimmte Tatsachen die Durchsuchung erforderlich machen.
  • auf der anderen Seite die Argumentation, daß Waffen schließlich eminent gefährlich sind und Winnenden die tödliche Gefahr vor Augen geführt hat. Wer nichts zu verbergen habe, könne schließlich auch eine Beschau durch die Behörde erlauben – eine geringe Belästigung im Hinblick auf die Gefahren.

Wer nichts zu verbergen hat? Ist das der Maßstab? Dann brauchen wir das Grundrecht nicht. Wer nichts zu verbergen hat, kann jederzeit die Durchsuchung seiner Wohnung dulden. Der Umkehrschluß zeigt, daß, wer die Durchsuchung nicht zulassen will, etwas zu verbergen hat.

Die Rechtsprechung versucht mittlerweile mit der sperrigen (schlampigen) Norm umzugehen:

Waffengesetz
§ 36 Aufbewahrung von Waffen oder Munition
(1) Wer Waffen oder Munition besitzt, hat die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um zu verhindern, dass diese Gegenstände abhanden kommen oder Dritte sie unbefugt an sich nehmen. Schusswaffen dürfen nur getrennt von Munition aufbewahrt werden, sofern nicht die Aufbewahrung in einem Sicherheitsbehältnis erfolgt, das mindestens der Norm DIN/EN 1143-1 Widerstandsgrad 0 (Stand Mai 1997) 1) oder einer Norm mit gleichem Schutzniveau eines anderen Mitgliedstaates des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Mitgliedstaat) entspricht.
(2) Schusswaffen, deren Erwerb nicht von der Erlaubnispflicht freigestellt ist, und verbotene Waffen sind mindestens in einem der Norm DIN/EN 1143-1 Widerstandsgrad 0 (Stand Mai 1997) entsprechenden oder gleichwertigen Behältnis aufzubewahren; als gleichwertig gilt insbesondere ein Behältnis der Sicherheitsstufe B nach VDMA 2) 3) 24992 (Stand Mai 1995). Für bis zu zehn Langwaffen gilt die sichere Aufbewahrung auch in einem Behältnis als gewährleistet, das der Sicherheitsstufe A nach VDMA 24992 (Stand Mai 1995) oder einer Norm mit gleichem Schutzniveau eines anderen EWR-Mitgliedstaates entspricht. Vergleichbar gesicherte Räume sind als gleichwertig anzusehen.
(3) Wer erlaubnispflichtige Schusswaffen, Munition oder verbotene Waffen besitzt oder die Erteilung einer Erlaubnis zum Besitz beantragt hat, hat der zuständigen Behörde die zur sicheren Aufbewahrung getroffenen oder vorgesehenen Maßnahmen nachzuweisen. Besitzer von erlaubnispflichtigen Schusswaffen, Munition oder verbotenen Waffen haben außerdem der Behörde zur Überprüfung der Pflichten aus den Absätzen 1 und 2 Zutritt zu den Räumen zu gestatten, in denen die Waffen und die Munition aufbewahrt werden. Wohnräume dürfen gegen den Willen des Inhabers nur zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit betreten werden; das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt.

Diese Vorschrift hat wohl mehr Ärger eingebracht als Vorteile. Man streitet über die Gebühren für die behördliche Nachschau, im Extremfall einer Behörde 320 €, die der rechtschaffene Besitzer zu tragen hat, und dergleichen mehr.

Manche lesen aber in den oben zitierten § etwas hinein, was dort definitiv nicht zu entnehmen ist:

Nimmt die Waffenbehörde im Rahmen der Vor-Ort-Kontrolle neben der Kontrolle der Aufbewahrungsverhältnisse zugleich einen Abgleich der im Waffenschrank vorgefundenen mit den auf den Waffenbesitzkarten eingetragenen Waffen vor, werden die der Waffenbehörde von § 36 Abs. 3 Satz 2 WaffG (juris: WaffG 2002) gesetzlich eingeräumten Kontrollbefugnisse nicht überschritten.(Rn.73)
Quelle: Verwaltungsgericht Stuttgart v. 06.12.2011 – 5 K 4898/10

Absätze 1 und 2 regeln die Aufbewahrungspflichten, zu deren Überprüfung die Behörden Nachschau halten dürfen. Die Kontrolle der Waffen ist gesetzlich definitiv nicht vorgesehen. Aber die Begründung des Urteils in den Randziffern 73ff ist beeindruckend. Ich halte das für Sophismus. Aber ich muß neidvoll zugeben: Handwerklich excellent!

Bild einer Karrikatur

Gier macht blind – Mindestgebühr von 210 € für verdachtsunabhängige Vor-Ort-Waffenkontrolle rechtswidrig

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat am 13.08.2013 -5 K 2177/12 – entschieden, daß diese Gebühr zu hoch ist. Man war sich wohl seiner Sache zu sicher, nachdem dasselbe Gericht bereits in zwei Entscheidungen die Rechtmäßigkeit der Erhebung einer Gebühr für derartige Kontrollen bestätigte. Damals waren es 50 € bzw. 46,67 €

Eine der Entscheidungen kommentierten wir: Ja, was haben wir denn da?

Allerdings, damals hatten die Kläger die Höhe der Gebühren nicht beanstandet!

Nun erachtet das Verwaltungsgericht den von der Stadt Stuttgart in ihrer Verwaltungsgebührensatzung enthaltenen Gebührenrahmen im Hinblick auf die angesetzte Mindestgebühr in Höhe von 210 EUR für rechtswidrig.

Was war passiert?

Der Kläger ist Jäger und Waffenbesitzer. In seiner Waffenbesitzkarte sind eine Lang- und eine Kurzwaffe eingetragen. Im Januar 2012 hatten Mitarbeiter der Stadt Stuttgart bei ihm vor Ort eine verdachtsunabhängige Waffenkontrolle nach § 36 Abs. 3 des Waffengesetzes durchgeführt. Die Kontrolle hatte zu keiner Beanstandung geführt. Für die Kontrolle setzte die Stadt gegen den Kläger – bei einem Gebührenrahmen von 210 EUR bis 420 EUR – eine Gebühr in Höhe von 210 EUR fest. Nach erfolgloser Durchführung des Vorverfahrens hat der Kläger gegen den Bescheid im Juli 2012 Klage erhoben.

Er macht gegen die Gebühr im Wesentlichen geltend, dass es sich bei der Kontrolle nicht um einen gebührenpflichtigen Verwaltungsvorgang handele. Er habe die Überprüfung nicht veranlasst und diese liege auch nicht in seinem Interesse. Die Gebühr sei zudem zu hoch festgesetzt. Eine zwischen fünf und zehn Minuten dauernde Überprüfung der sicheren Unterbringung seiner zwei Waffen und der Munition rechtfertige eine derart hohe Gebühr nicht. Die Stadt macht dagegen geltend, dass die Rechtmäßigkeit der Gebührenerhebung für verdachtsunabhängige waffenrechtliche Vor-Ort-Kontrollen vom Gericht bereits bejaht worden sei. Der festgesetzte Gebührenrahmen von 210 EUR bis 420 EUR sei angesichts des mit der Kontrolle verbundenen Verwaltungs- und Personalaufwands angemessen und kostendeckend kalkuliert.
Quelle: Pressemitteilung VG Stuttgart v. 06.08.2013 (Bericht über die für den 13.08.2013 anstehende mündliche Verhandlung)

Die Entscheidung ist politisch interessant. Hätte die Behörde die Kosten durch interne Kalkulationen belegen können, wäre die Entscheidung wohl anders ausgefallen. Die Urteilsgründe werden interessant sein – sind aber noch nicht veröffentlicht.

Die Festsetzung des Gebührenrahmens war demgemäß entgegen dem Gesetz nicht durch die entstehenden Kosten bestimmt, sondern beruhte auf anderen – welchen? – Gründen. Gier oder der politische Wille, den Waffenbesitzer durch überhöhte Gebühren zur Rückgabe der waffenrechtlichen Erlaubnisse zu veranlassen?

Ach ja, pure Dummheit ist auch noch eine mögliche Variante.

Waffenrechtliche Praxis: Lachen oder Weinen?

Ich lästere ja gerne über die Waffenbehörden und die Gerichte. Bei diesem Leitsatz spielt sich vor dem geistigen Auge eines Waffenrechtsspezialisten ein ganzer Spielfilm ab:

Eine ordnungsgemäße Verwahrung liegt auch nicht vor, wenn die Ehefrau die anlässlich einer Steuerfahndung gefundene Waffe in Kenntnis der Zahlenkombination in einen Safe einschließt.VG VG Ansbach, Beschl. v. 11. 7. 2011 – AN 15 S 11.01195

Un die gut gewürzte Bockflinte ist doch auch superb:

[3] Am Abend des 23. 5. 2012 begab sich der Kläger zu dem Schrottplatz der Firma P., wobei er einen Tarnanzug trug und eine Gesichtsmaske angelegt hatte. Er führte eine Langwaffe (Bockflinte) mit sich. Diese war mit selbst gefertigten, mit Salz und etwas Pfeffer gefüllten Hülsen geladen. Der Kläger begab sich an die Stelle, von der er annahm, dass dort die Straftäter auf das Gelände des Schrottplatzes gelangen würden. Seinen Angaben zurfolge näherte sich um 21.20 Uhr ein mit drei Personen besetzter Pkw mit Pferdeanhänger dem Schrottplatzgelände. Während zwei Personen den Schrottplatz betreten hätten, sei der dritte Mann, ausgerüstet mit einem Funkgerät, die Zufahrtstraße zurückgegangen und habe sich in einer Hecke am Straßenrand versteckt. Er – der Kläger – habe die Polizei mit einer SMS an die Festnetznummer der Dienststelle über die Vorgänge informiert. Gleichzeitig habe er beschlossen, den Spitzel zu entwaffnen und zu verhaften. Dazu habe er sich an dessen Versteck herangepirscht und ihn aufgefordert, er solle sich mit ausgestreckten Armen und Beinen auf den Straßenboden legen. Nunmehr habe er die Polizei über die Notrufnummer 110 verständigt und um baldige Unterstützung ohne Blaulicht und Martinshorn gebeten. Nach etwa 30 Minuten sei der erste Streifenwagen erschienen. Dessen Besatzung will den Mann auf der Straße liegend festgestellt haben, daneben den Kläger mit der Bockflinte in der Hand. Den weiteren Angaben des Klägers zufolge hätten die Polizeibeamten das Eintreffen von Verstärkung abgewartet, bevor sie den Schrottplatz umstellt und durchsucht hätten. Zu diesem Zeitpunkt seien die weiteren Personen allerdings schon geflohen.[1]
VG Arnsberg, Urt. v. 18. 2. 2013 – 8 K 1999/12

  1. [1]Jagdschein ist weg, die Behörde will frühestens nach 10 Jahren eine neue Erlaubnis erteilen.

Doktorspiele in Wisconsin

Der Kollege Kochinke berichtet in seinem German American Law Journal (US-Recht auf Deutsch) von einem verfassungsrechtlich interessanten Fall, der mir allerdings wegen des Sachverhaltes aufstieß:

Doktorspiel als Verfassungsfrage
Ein Sechsjähriger spielte nach einem Arzttermin mit den Zwillingen der Nachbarn Doktor; sie werden von deren Mutter überrascht, die aufgrund guter politischer Beziehungen die Polizei und Staats­anwaltschaft für den Fall als Sexual­verbrechen interessiert. Den Eltern des Jungen gelingt es, diesen Vorwurf sowie die Aufnahme auf die Kriminellen­liste zu verhindern. Dann verklagen sie die Staats­anwaltschaft und Kreisver­waltung wegen Verletzung von Verfassungs­rechten.

Der Bericht enthält einen Link auf eine US-Datenbank, in der die Entscheidung im Volltext zu finden ist: D.B. v. James Kopp

Also nochmal: Ein Sechsjähriger spielt seine Erfahrungen beim Arzt mit den fünfjährigen Nachbar-Zwillingen nach. Im Laufe der Ermittlungen berichten diese, dieselben Untersuchungen auch ausgeführt zu haben.

Und nun beginnt der Alptraum: Massive Untersuchungen gegen den Jungen, Geplante Aufnahme in eine Sexual-Straftäter-Kartei wenn er 18 Jahre alt ist, Hinweis an die Eltern, daß der Junge seine Straftat gestehen solle und ansonsten den Eltern ihre Kinder weggenommen werden. Gegen die Zwillinge werden keine Ermittlungen geführt.

Wer die englische Sprache beherrscht, sollte die Entscheidung gelesen haben.

Und man muß sich immer wieder bewußt machen, insbesondere bei Reisen in die USA oder Überlegungen, ob man sein Kind dorthin reisen läßt (Ferienlager, Sprachschule, etc.), das ist ein Land mit einer uns völlig unverständlichen Rechtskultur.

Nachtrag:
Es gab noch einen weiteren Vorwurf. Die Ermittler haben überall sehr sorgfältig ermittelt, die Schule befragt, etc., pp. Dabei kam dann eine weitere Anschuldigung ans Tageslicht:

He (der Ermittler!) “came up with a former babysitter” who “told a story about D.B. making sexual contact with her.” Kopp “cherry-picked” the sitter’s story, “ignor[ed] contradictory testimony,” and sent a report to Moravits and Riniker recounting the sitter’s allegations and concluding that D.B. had committed a fourth-degree sexual assault against the babysitter.

Bisher kannte ich nur die Fälle, in denen die Babysitter von Übergriffen durch den Vater berichteten. Aber von einem Sechsjährigen? Fehlen denen eigentlich alle Kenntnisse über die Entwicklungsphasen der Kinder?

LG Düsseldorf untersagt ERGO Werbung mit „Kundenanwalt“

Das Landgericht Düsseldorf hat es der ERGO Versicherungsgruppe auf Grund einer Klage der Rechtsanwaltskammer Berlin untersagt, bei der Werbung für Dienstleistungen, die nicht von Rechtsanwälten erbracht werden, die Bezeichnung „Kundenanwalt“ zu verwenden (Urteil vom 26.07.2013 – 34 O 8/13).

Die 4. Kammer für Handelssachen des LG Düsseldorf hält die Bezeichnung „Kundenanwalt“ in dem Urteil zweifach für irreführend: Zum einen werde der falsche Eindruck erweckt, der „Kundenanwalt“ sei ein Rechtsanwalt, also der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Zusätzlich entstehe mit der Bezeichnung „Kundenanwalt“ der falsche Eindruck, der Anwalt vertrete den Kunden zum Beispiel gegenüber Dritten oder gegenüber der ERGO-Versicherungsgruppe.
Quelle: Pressemitteilung RAK-Berlin v. 01.08.2013