Anwaltsleid und -Freude: Statistik

Der Kollege Garcia hat in bewunderswerter Art und Weise die Statistik des 5. 1. Strafsenates ausgewertet. Erstaunlich, was Statistiken hergeben können.

Nun wird es einen Run auf die Statistiken des Statistischen Bundesamtes über die Justizgeschäftsstellen geben. In den sechs Heften der Fachserie 10 ist u.a. detailliert aufgeführt, in welchem Bundesland welche Verfahren wie lange gedauert haben. Das wird großen Einfluß auf die Entschädigungsverfahren nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, über das wir bereits hier und hier berichteten, haben.

Das Bundeministerium der Justiz verweist in seiner Pressemitteilung zum Gesetz selbst auf die Statistiken des Statistischen Bundesamtes.

Für den Schadensersatzanspruch ist die Statistik maßgebende Größe. Für Berlin ein Beispiel:

Im Jahre 2010 sind bundesweit 64 % aller Ermittlungsverfahren vom Tag des Eingangs bei der Staatsanwaltschaft/Amtsanwaltschaft innerhalb eines Monates erledigt worden. Berlin ist hier positiv mit 69,9 % hervorzuheben.

Die durschnittliche Verfahrensdauer für die Erledigung durch Anklage betrug 2,4 Monate, Berlin brauchte dafür im Durchschnitt 2,6 Monate.

Die Staatsanwaltschaft ist also in Erklärungsnot für jedes Verfahren, das länger als 2,6 Monate bis zur Anklageerhebung dauerte. Die Akte wird vom Verteidiger daraufhin durchgesehen werden müssen, ob die längere Verfahrensdauer objektiv gerechtfertigt war, wobei Personalmangel, Organisationsversagen, etc. unberücksichtigt bleiben sollen, das Gesetz soll selbst beschleunigen:

Wo viele berechtigte Klagen wegen der Verfahrensdauer erfolgen, werden die Verantwortlichen über Verbesserung bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken müssen. Der Gesetzentwurf stärkt somit nicht nur den Rechtschutz vor deutschen Gerichten, sondern auch die deutschen Gerichte selbst.

Das gilt nich nur im Strafrecht, sondern auch in allen anderen Verfahren, auch Verfahren vor dem Sozialgericht.

Für abgeschlossene Verfahren endet die Frist für die Klageerbebung am 03.06.2012 bzw. 6 Monate nach rechtskräftigem Abschluß des Verfahrens. Die Entschädigung für den immateriellen Schaden beträgt im Regelfall 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung – falls nicht eine andere Wiedergutmachung möglich ist.

Der Wortlaut des Gesetzes:

§ 198 GVG

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädi-gungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt
der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess-oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2. ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Opfer überlanger Gerichtsverfahren müssen unverzüglich reagieren

Die Falle steckt wie immer im Detail! Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist am 04. 03.12.2011 in Kraft getreten.

Schadensersatzansprüche bestehen auch für Verfahren, die am 0403.12.2011 anhängig und bereits verzögert waren. Für den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des Gesetzes jedoch nur dann, wenn die Verzögerungsrüge unverzüglich nach dem Inkrafttreten des Gesetzes – dem 04. 03.12.2011 – erhoben werden.

Artikel 23
Übergangsvorschrift

Dieses Gesetz gilt auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann. Für anhängige Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten schon verzögert sind, gilt § 198 Absatz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes auch für den vorausgehenden Zeitraum. Ist bei einem anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz erfolgt, bedarf es keiner Verzögerungsrüge. Auf abgeschlossene Verfahren gemäß Satz 1 ist § 198 Absatz 3 und 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht anzuwenden. Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes kann bei abgeschlossenen Verfahren sofort erhoben werden und muss spätestens am … [einsetzen: Datum des Tages, der sechs Monate nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes liegt] erhoben werden.

Ein Haftungsstrick für den Anwalt.

Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren

[singlepic id=185 w=320 h=240 float=left]Der Rechtsanwalt wird sich einen Textbaustein zulegen müssen, um nicht selbst in die Haftung zu geraten.

Das Gesetz ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der SPD bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltungen der Grünen am 29.09.2011 beschlossen worden (BTPlProt 17/130, 15348 D).

Der Gesetzentwurf ist vom Ausschuß noch einmal wesentlich geändert worden: BTDrs 17/7217. Am Freitag, den 02.12.2011 wurde das Gesetz veröffentlicht und trat am Tag danach in Kraft.

Zentrale Vorschrift ist der neue § 198 GVG

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

Das Gesetz bietet einiges an Haftungspotential für den Rechtsanwalt. Wir werden dann jetzt in vielen Fällen die Rüge schon einmal sicherheitshalber erheben. Den Maßstab setzt das Gesetz leider nicht, wieder einmal wird der Rechtsprechung überlassen bleiben, Gesetzgeberpflichten zu erfüllen.

Das Bundesministerium für Justiz in seiner Presserklärung:

Der Schutz vor überlangen Verfahren wird positive Effekte für die Justiz insgesamt bringen. Wo viele berechtigte Klagen wegen der Verfahrensdauer erfolgen, werden die Verantwortlichen über Verbesserung bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken müssen. Der Gesetzentwurf stärkt somit nicht nur den Rechtschutz vor deutschen Gerichten, sondern auch die deutschen Gerichte selbst.

Na dann ;-)

Die Berliner RAK hat bereits reagiert und wird im nächsten Kammerton ein Interview mit der Präsidentin abdrucken, das Sie hier finden.

Der Entschädigungsanspruch für abgeschlossene Verfahren muß spätestens sechs Monate nach Rechtskraft der Ausgangsenstscheidung gerichtlich geltend gemacht werden. Die Frist läuft also seit dem 04. 03.12.2012!

Update 13:46h – Haftungsrisiko

Die Rüge in abgeschlossenen anhängigen Verfahren muß unverzüglich erhoben werden. Fallstrick ist hier Art. 23 des Gesetzes:

Artikel 23

Übergangsvorschrift

Dieses Gesetz gilt auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichts- hof für Menschenrechte ist oder noch werden kann. Für anhängige Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten schon ver- zögert sind, gilt § 198 Absatz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes auch für den vorausgehenden Zeitraum. Ist bei einem anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz erfolgt, bedarf es keiner Verzögerungsrüge. Auf abgeschlossene Verfahren gemäß Satz 1 ist § 198 Absatz 3 und 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht anzuwenden. Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes kann bei abgeschlossenen Verfahren sofort erhoben werden und muss spätestens am … [einsetzen: Datum des Tages, der sechs Monate nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes liegt] erhoben werden.

Die Tücken des EGVP

Das kommt davon wenn man sich für das kompliziertere System entscheidet. Im Moment funktioniert EGVP bei uns praktisch nicht.

Störung: Alle EGVP Nutzer
Zeitweilige Kapazitätsprobleme

Bundesweit
Beginn: 02.12.2011 08:00
Voraussichtliches Ende: 05.12.2011 18:00
Status: aktuell

Leider konnten durch den vom Hersteller am 01.12.2011 bereitgestellten Patch 2.7.0.1 nicht alle Probleme des EGVP behoben werden.

Der Hersteller arbeitet indes weiter mit Hochdruck an einer Lösung.

Durch die Vielzahl an aufgetretenen Problemen ist der EGVP-Support, welcher durch die Fa. Westernacher erfolgt, derzeit völlig überlastet. Daher können leider nicht alle Anfragen sofort beantwortet werden.
Quelle: EGVP-Meldungen 02.12.2011 23:55

Und dann passieren hier die wunderlichsten Sachen – natürlich – alles Userfehler:

  • Eine Sendung mit qualifiziert Signatur wird auf dem Bildschirm als solche gekennzeichnet. Die Signaturprüfung bestätigt das. Das Sendeprotokoll weist aus, daß es keien qualifizierte Signatur sei.
  • Der erneute Versand weist alles als in Ordnung aus. Nur der Bildschirm zeigt an, daß keine Anlagen beigefügt sind.

Die Meldungen des EGVP-Newsletter sind vernichtend. Prüft da keiner eine neue Version, bevor sie für derart wichtige Dokumententransporte freigegeben werden?

[singlepic id=184 w=480 h=360 float=center]

Wir können momentan nur dazu raten, wenn man den fristwahrende Schriftsätze per EGVP einreichen will, die Protokolle tunlichst auszudrucken und penibelst zu kontrollieren.

Zur Ehrenrettung des Supports muß ich daraufhinweisen, daß ich dort bisher nur die besten Erfahrungen gemacht habe. Hochqualifiziert und extrem freundlich! An denen liegt es sicherlich nicht.