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Ernsthaft aber nicht ernstlich

Der Cartoon des Monats des Steuerberater Magazin hat mich wieder an eine Lektion vor einigen Jahren erinnert. Der Berliner Landrichter Dr. X meinte zu mir in einer Wettbewerbssache, er unterstelle mir ernsthafte Zweifel, ernstlich seien sie jedoch nicht.

Ernsthafte Zweifel und ernstliche Zweifel sind nicht synonym.

Die nächste Wirkung von der Vorstellung des Wichtigen ist ein gewisses demselben angemessenes Gefühl. Was dieses Gefühl hat oder erregt, ist ernst. So wird es von Personen (ernst gestimmt) und Dingen (ernst stimmend) gesagt. „Zum Werke, das wir ernst bereiten, | geziemt sich wohl ein ernstes Wort.“ Schiller, Glocke. „Ernst ist das Leben; heiter ist die Kunst.“ Schiller, Prol. zum Wallenst. Was in den Handlungen diesem Gefühle gemäß ist, das ist ernstlich. Eine Ermahnung, ein Verweis, eine Strafe sind ernstlich, wenn sie dem Gefühle, das der Ermahnende, der Verweisende, der Strafende von der Wichtigkeit und Notwendigkeit seiner Ermahnung, seines Verweises, seiner Strafe hat, gemäß sind. Ernsthaft (eig. Ernst an sich habend) ist der Ausdruck des Ernstes in Gebärden, Bewegungen, Handlungen und Reden. Ein ernsthafter Mann trägt an seiner gerunzelten Stirne, seinen bedächtigen Bewegungen usw. die Zeichen von den wichtigen Gedanken, die ihn beschäftigen. „Gott, das wird ernsthaft!“ Schiller, Teil III, 3. Aus den Zeichen (daß Geßler den Apfel bricht usw.) schließt man, daß der Landvogt nicht scherze.
Quelle: Johann August Eberhards – Synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache (1910), Nr. 509

Oder anders formuliert:

Ernst ist die innere Realität oder Beschaffenheit; ernsthaft die äußere Erscheinung und ernstlich die Intensität.

Und so reichen dann ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit für eine Aussetzuung der Vollziehung nicht aus, es müssen ernstliche Zweifel bestehen.

Aktenzeichen

Kann mir bitte ‚mal einer der lieben Kollegen (Richter, Staatsanwälte inkludiert) verraten,

  • warum wir immer die Aktenzeichen der Behörde in unserem Schriftverkehr im Betreff anführen?
  • warum wir auf unserem Briefpapier an prominenter Stelle, farblich hervorgehoben „Bitte stets angeben: …“ unser Aktenzeichen nennen?
  • warum ich zu der Vermutung gelangt bin, daß Behördenbedienstete nicht in der Lage sind, unser Aktenzeichen anzugeben?
  • warum ich den Anfangsverdacht habe, daß einige der Mitarbeiter als funktionale Analphabeten bezeichnet werden müssen?
  • warum eine Behörde einen an uns adressierten Bescheid dadurch siegelt, daß die linken oberen Kanten nach vorne umgebogen, geklammert werden und dann ein Siegel darüber gesetzt wird – natürlich so, daß die folgenden Seiten nicht mehr vollständig lesbar sind? Soll das die Anstiftung zum Siegelbruch sein?

Literalität Bußgeldbehörde

Wir berichteten über geschätzte 9,5 Millionen Analphabeten (Erwachsene) in Deutschland: Hier!

Anlaß war eine Behörde, die rechtliches Gehör nur schriftlich gewähren will.

Wir bekamen die Akte mit Frist bis zum 27.07.2013, schickten der Behörde die Akte mit der Mitteilung zurück, daß wir nach Rücksprache mit dem Mandanten eine Einlassung abgeben werden.

Am 18.07.2013 erläßt die Behörde den Bußgeldbescheid.

Auf Nachfrage, ob Rechtliches Gehör dort auch schriftlich nicht „gehört“ werde, teilt die nette Sachbearbeiterin mit, daß sie meine Mitteilung wohl „überlesen“ habe.

Zufall? Natürlich. Man kann was überlesen, mache ich auch.

Andererseits, …

Anwaltsschwemme

Bei mir schlug eine Anfrage auf:

Als letzte Zulassungsvoraussetzung fehlt mir noch die Bescheinigung eines Anwaltspraktikums, daher suche spontan noch einen Platz. Wegen der Beanspruchung durch die Examensvorbereitung wäre ich nicht unaufdringlich und würde Sie nicht übermäßig mit Arbeitswünschen belästigen.

Wetten, der wird Anwalt? Er wird ca. drei Monate nach dem Examen feststellen, daß die Noten für einen künftigen Richter oder Staatsanwalt nicht ausreichen und auch andere Dienstherren nicht auf ihn gewartet haben. Seine Deutschkenntnisse werden sich nicht verbessert haben. Das Sozialamt wird ihm dann wohl die Robe bezahlen.

Ist das die Gewährung rechtlichen Gehörs?

aus einer Anhörung in einem Ordnungswidrigkeiten-Verfahren das mit einer Geldbuße bis zu 10.000 € geahndet werden kann:

Bitte berücksichtigen Sie, dass es sich um ein schriftliches Anhörungsverfahren handelt. Von telefonischen Stellungnahmen oder persönlichen Vorsprachen auf dem Amt bitten wir Sie deshalb abzusehen. Sollten Sie sich zu der Sache äußern wollen, bitten wir hierzu beiliegenden Anhörungsbogen zu verwenden oder um Angaben in einem separaten Schreiben.

Da fallen einige durch das Raster. Nicht nur die nicht ausreichend alphabetisierten Mitbürger. Es ist wahrlich nicht jedem gegeben, auf eine Anhörung in einer schwierigen Sache seine Argumente zu Papier zu bringen.

Die Gewährung rechtlichen Gehörs nur für Priviligierte?

In Deutschland sind nach einer Studie der Universität Hamburg[1] 2 Millionen Erwachsene totale Analphabeten und weitere 7,5 Millionen Erwachsene funktionale Analphabeten (Illetrismus)[2].

Angesichts des in den versandten Anhörungsschreiben verwendeten Behördendeutschs mit Wiedergabe des Gesetzestextes schätze ich die Anzahl der Menschen, die nur „Bahnhof“ verstehen, viel höher ein. Denn die Studie bezieht sich auf die Literalität von Erwachsenen auf den unteren Kompetenzniveaus.

Hallo liebe Beamten: Gehör kommt von hören! Es heißt rechtliches Gehör, nicht rechtliches Sehen!

Bürgernähe der Verwaltung?

  1. [1]Bericht der ZEIT: www.Zeit.de; Studie als .pdf
  2. [2]Funktionale Analphabeten sind Menschen, die zwar Buchstaben erkennen und durchaus in der Lage sind, ihren Namen und ein paar Wörter zu schreiben, die jedoch den Sinn eines etwas längeren Textes entweder gar nicht verstehen oder nicht schnell und mühelos genug verstehen, um praktischen Nutzen davon zu haben.