Praktikumsbericht

Sonntagabend, 22 Uhr 35. Der Abend vor meinem ersten Tag in der Kanzlei Schmitz & Partner am Kurfürstendamm. Ich habe vier Wochen Seminararbeit und acht Stunden Zugfahrt hinter mir und bin gerade dabei meinen Koffer auszupacken. Meine Gedanken drehen sich hauptsächlich um den Schlaf, den ich nachzuholen habe, als ich einen entgangenen Anruf auf meinem Handy entdecke.

Als ich zurückrufe, ist Herr Jede immer noch wach. Ob ich morgen früh auch um 7 Uhr kommen kann statt um zehn? Er hat kurzfristig erfahren, dass er mit einem Kollegen nach Frankfurt Oder fahren muss, um ihn bei einem Strafprozess zu unterstützen.

Natürlich kann ich.

Meine Augenlider rebellieren zwar, als ich am nächsten Morgen um Punkt sieben Uhr ins Auto steige, aber Herr Jede hat zu diesem Zeitpunkt schon herausgefunden, dass ich keinen Kaffe mag und die halbe Akte mit mir diskutiert. Im Auto möchte er hinten sitzen, nach eigenen Angaben, um noch ein bisschen zu schlafen.

Tatsächlich schläft er ungefähr fünf Minuten, den Rest der Fahrt nutzt er, um mich über die Struktur der deutschen Gerichtsbarkeit und das anwaltliche Berufsrecht aufzuklären. Als wir und die 10 Sachakten in Frankfurt ankommen, habe ich bereits in der ersten Unterbrechung der Verhandlung (Herr Jede nutzt die Gelegenheit, um mich darüber aufzuklären, dass das nicht dasselbe wie ein Aussetzung ist) meinen ersten Rechercheauftrag.

Ich bin zwar müde, aber überglücklich. Es ist der Alltag eines Strafverteidigers und ich bin mittendrin.

In der Kanzlei Schmitz & Partner gibt es tatsächlich (fast) nichts, was man nicht einmal ausprobieren dürfte. Mandantengespräch? Dabei. Relative Revisionsgründe bei fehlerhafter Einführung von Schriftstücken im Selbstleseverfahren? Recherchiert. Antrag an die Staatsanwaltschaft gem. § 170 II StPO? Verfasst. Zwischendurch einen Brief an einen Mandanten ins Englische Übersetzen und eine zivilrechtliche Klage beim Kollegen schreiben? Erledigt. Ein Plädoyer verfassen und vor laufender Kamera halten? Aktenvortrag fürs Referendariat übern? Abgehakt.

Herr Jede lebt nach dem Grundsatz, dass nur eine ordentliche Diskussion zeigt, ob die eigene Meinung tatsächlich richtig ist. Und von diesem Grundsatz werden auch Praktikanten nicht ausgespart. Ich darf, nein, ich soll mich in den Besprechungen rege an den Diskussionen beteiligen und wenn ich einmal von mir aus nichts sage, wird nachgefragt, was ich davon halte.

Ich darf überall dabei sein, soll alles ausprobieren und aus meinen Fehlern am besten so viel wie möglich lernen. Deshalb werden sie im Zweifel auch dreimal geduldig mit mir diskutiert, wenn ich mal wieder der Meinung bin, die Kritik sei unangebracht. Und vor allem werde ich ernst genommen, als jemand, der tatsächlich etwas lernen und weiterkommen will, jemand dem man etwas zutrauen kann. Die Devise ist „learning by doing“ und ich glaube kaum, dass ich jemals vorher in 4 Wochen so viel gelernt habe, wie in diesem Praktikum. Einen vollumfänglicheren Einblick in die Arbeit eines Strafverteidigers hätte ich mir kaum wünschen können – dafür noch einmal ein herzliches Dankeschön!

Staatliche „Apps“: Hier die nützlich unnützliche Variante des Zolls…

Nimmt der Deutsche Zoll dem versierten Smartphone-User jetzt die letzt Ausrede, falls mal wieder 10 Stangen Zigaretten, 8l Alkohol oder ein neues Notebook bei einer Auslandsreise ins Gepäck gerutscht sind und man am Flughafen aus Versehen den grünen -nichts zu verzollen- Ausgang genutzt hat?

Mhh…zumindest bietet der Zoll auf seiner Website die Zoll und Reise App an.

Als Jurist denke ich sofort: „Hoffentlich sind da schön viele Fehler drin und die Freimengen zu hoch angegeben, haha Verbotsirrtum…“

Die Ernüchterung kommt nach der Installation. Als erstes wird einem ein Nag-Screen angezeigt, in dem es heißt:

„Bitte haben Sie Verständnis, dass diese App nur unverbindliche Hinweise geben kann und für die Kontrollbeamtinnen und -beamten nicht bindend ist. Im Zweifelsfall wenden Sie sich bitte vor Ort an den deutschen Zoll oder die Servicehotline.“

Gekrönt ist das ganze mit einem Button auf dem „Akzeptieren“ steht.

Na toll, dann kann man ja gleich den freundlichen Zigarettenverkäufer am Urlaubsort befragen….

Aber testen wir das ganze mal. Mit der App habe ich die unten abgebildete Warenliste erstellt. Die App stellt fest, dass 58,23 € Abgabe an der Grenze gezahlt werden müssten.

Warenliste der Zoll und Reise App

Ich glaube, die Entwickler haben sich bei dem eingangs erwähnte Nag-Screen was gedacht.

Dem Ergebnis der App würde ich jetzt nicht vertrauen wollen.

Nebenbei rate ich dringend davon ab die angegebene Warenliste zu erwerben oder im Handgepäck nach Deutschland einzuführen (im aufgegebene Gepäck aber bitte auch nicht…)!

Lehrstunde des Grauens

Carsten Hoenig und wir verfolgen als Strafverteidiger die Durchsuchungen im Zusammenhang mit DroidJack mit wachsendem Entsetzen.

Uns wurde freundlicherweise der Durchsuchungsbeschluß des Amtsgerichtes Gießen zugespielt und uns geht es wie CRH: Wir können es kaum glauben. Ich gehe davon aus, daß die uns vorliegenden Beschlüsse identisch sind. Ausschließlich der Verdacht des Kaufs des Programms führte entgegen der klaren Rechtslage zu den Durchsuchungen.

DroidJack

Dazu passen natürlich Bestrebungen, Barzahlungen zu unterbinden.

Der übliche Textbaustein für einen Durchsuchungsbeschluß vieler Staatsanwaltschaften lautet:

weil aufgrund von Tatsachen zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln, nämlich …

,

den die Richter natürlich übernehmen. Macht viel zu viel Arbeit, etwas am Entwurf der Staatsanwaltschaft zu ändern, die den Entwurf bereits auf dem Papier des Gerichtes ausdruckt, folglich werden Aktenzeichen und Datum regelmäßig mit der Hand eingetragen.

Diese Tatsachen verschweigt der Beschluß dann aber tunlich. Sie wären im Beschluß konkret zu bezeichnen. Stattdessen wird darauf verwiesen, daß der Tatverdacht auf den Ermittlungen der ZIT und des Bundeskrminalamtes beruht. Eigentlich kann sich der Staatsanwalt doch die Begründung sparen und schreiben „Der Verdacht ergibt sich aus den aktenkundigen Tatsachen, die ich überprüfte und für überzeugend beurteilte.“

Und das uns hier besonders interessierende Merkmal, daß zum legalen Erwerb weitere objektive Merkmale hinzutreten müssen, umgeht der Beschluß „brilliant“ [1]:

  1. Die Software enthält keine legitimen Funktionalitäten und taugt damit nur für Straftaten. [2]
  2. Dies läßt einen nachfolgenden Einsatz der Schadsoftware zur Begehung von Straftagen als sehr wahrscheinlich erscheinen.
  3. Unter Berücksichtigung kriminalistischer Erfahrungswerte bestehe daher der Verdacht, daß er die Software zur Vorbereitung der Straftaten erworben und bereits – wie beabsichtigt – verwendet hat.
  4. Da der Bösewicht Geld für die Software bezahlt hat ist die Annahme begründet, daß er versuchen wird, mit den Einnahmen aus dem betrügerischen Einsatz der Opferdaten die Ausgaben für die Software zu kompensieren.

Das traut sich nichtmal eine Studentin im 1. Semester angemessen zu kommentieren.

Mit der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität ZIT in Gießen haben wir schon zuvor Erfahrungen gesammelt, die hierzu passen.

Wenn die Herren Richter am Bundesverfassungsgericht diese Nachrichten lesen, werden sie sich sicherlich erstaunt die Augen reiben. Mehrere legale „Nutzer“ von Schadsoftware hatten Verfassungsbeschwerde gegen die Vorschrift des § 202c StGB erhoben und das Gericht hat die Beschwerde nicht angenommen – 2 BvR 2233/07 -. Die Beschwerdeführer seien nicht von der Norm unmittelbar betroffen und die Verfassungshüter führten ausführlich aus, daß schließlich noch mehr zur Straftat hinzugehöre als der Besitz der Schadsoftware (vgl. Kommentar 3)

  1. [1]Die Verwendung des Begriffes ist hier aus blankem Zynismus erfolgt
  2. [2]Lieber Leser, sicherlich haben Sie sich auch schon die Frage gestellt, wie man wohl ein Programm zur Abwehr von DroidJack entwickelt ohne im Besitz des Programms zu sein?

Verkehrssicherungspflicht: Einkaufswagen gerammt

Wer haftet, wenn ein Autofahrer bei stürmischen Wetter die Straße langfährt und plötzlich ein herrenlosen Einkaufswagen auftauscht, dem er nicht mehr ausweichen kann?

Der „Fahrer“ des Einkaufswagens nicht – er war „Führerlos“.

Das OLG Hamm hat sich dieser Problematik angenommen nachdem erstinstanzlich der Fahrer des Autos leer ausging.

Im Kern der Entscheidung dreht es sich um die Verkehrssicherungspflichten, die den Supermarktbetreiber treffen.

Während erstinstanzlich noch davon ausgegangen war, dass auch ein Dritter den Einkaufswagen an der Straße abgestellt haben könnte und deshalb eine Zurechnung der Haftung für den Supermarktbetreiber verneint wurde, konkretisierte das OLG die ihn aus deliktischer Haftung treffende Verkehrssicherungspflicht und verurteilte zum Ersatz des Schadens in Höhe von 80 %.

Dem Autofahrer wurde die Gefahr aus dem Betrieb seines Fahrzeuges in Höhe von 20 % von der vollen Entschädigung abgezogen. Die sog. Betriebsgefahr würde nur unberücksichtigt bleiben, wenn der Unfall für den Fahrer unabwendbar gewesen wäre.

Hinsichtlich der Verkehrssicherungspflicht ist der Supermarktbetreiber verpflicht, nach Geschäftsschluss sicherzustellen, dass sich keine herrenlosen Einkaufswagen auf dem Betriebsgelände befinden und dass die Wagen nicht von Dritten unberechtigt genutzt werden können.

Die lesenswerte Entscheidung des OLG Hamm, Urteil vom 18. August 2015, 9 U 169/14, die sich auch mit dem Pfandsystem der Einkaufswagen auseinandersetzt, wurde im Volltext veröffentlicht.

DroidJack Durchsuchungen – einfach mal so

744569_web_R_B_by_Tim Reckmann_pixelio.deNicht nur bundesweite Durchsuchungen bei Käufern der Software DroidJack, sondern eine konzertierte Aktion bei der in Zusammenarbeit mit Europol auch in Großbritannien, Frankreich, Belgien und der Schweiz Wohnungen durchsucht wurden.

Interessant ist die Erklärung der Staatsanwaltschaft, daß den Käufern das verbotene Ausspähen von Daten und Computerbetrug vorgeworfen wird. Die Software ließe sich ausschließlich illegal verwenden.

Obwohl Agenturmeldung, scheint sie nicht besonders verbreitet worden zu sein. SPON hat sich des Themas angenommen und ein Betroffener berichtet auf dem gulli-board

Es scheint sich keiner mehr darüber aufzuregen, ich komme mir vor wie der einsame Mahner in der Wüste.

Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob man die Software auch legal nutzen kann, was ziemlich wahrscheinlich ist. Der Erwerb und Besitz des Programmes ist legal. Die Strafverfolgungsbehörden schließen aus dem legalen Erwerb einer Software messerscharf, daß sie auch illegal genutzt wird und beantragen den Erlaß eines Durchsuchungsbeschlusses. Und das Gericht macht mit. Wohlgemerkt: Hier hat ein Richter entschieden, daß das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung gebrochen werden darf, da die gesetzlichen Voraussetzungen (Tatverdacht) vorlägen.

Hatten wir das nicht schon’mal? Hat sich nicht ein berühmter Richter am Bundesgerichtshof in der ZEIT dafür entschuldigt? [1]

Das BVerfG hat im Edathy-Beschluß nicht formal entschieden, daß

die von ihm (Edathy) als verfassungsrechtlich grundsätzlich bedeutsam aufgeworfene Frage, ob ein strafprozessualer Anfangsverdacht auch an ein ausschließlich legales Verhalten des Beschuldigten ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte anknüpfen könne, ist daher nicht entscheidungserheblich.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 74/2014 vom 29. August 2014

Aber klar auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach weitere Anhaltspunkte vorliegen müssen.

In der Rechtsprechung ist andererseits auch geklärt, dass ein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat durch ein an sich legales Verhalten begründet werden kann, wenn weitere Anhaltspunkte hinzutreten.
Fundstelle wie oben, Hervorhebungen hier

In den DroidJack-Fällen wird wohl das Bundesverfassungsgericht die grundsätzlich bedeutsame Frage beantworten müssen. Und ich habe keinen Zweifel wie die Antwort aussehen wird. Sie ist selbst in Kleinkommentaren zur StPO beantwortet. Jeder Idiot kann sich die Antwort denken. Ansonsten passiert das, was Fischer (s.o) vorgedacht hat:

Verheerender als die praktische Sinnlosigkeit einer solchen Strafverfolgung ist der Verlust ihrer Legitimität. Es ist, so lautet die Botschaft, weder möglich noch nützlich, noch ausreichend, sein Verhalten an den gesetzlich bestimmten Grenzen zu orientieren. Denn die immer höhere, immer weiter vorverlagerte Bestrafung … führt – gegen alle Ankündigungen der Rechtspolitiker – in Wahrheit nicht dazu, dass jene sich für das Recht (also das Erlaubte) und gegen das Unrecht entscheiden können oder auch nur wollen. Und wenn sie es täten, hülfe es ihnen nichts: Die Bemühung, nur und gerade das zu tun, was noch erlaubt ist, begründet erst recht den Verdacht, dass die wahren Verbrechen jetzt bloß verschleiert werden sollen.
Auch hier wieder: Hervorhebung durch uns

Den Kommentaren „Ich finde das richtig“ sei nochmal Fischer (s.o.) entgegengehalten:

Der vernichtenden Gewalt des Redlichen kann nur entkommen, wer sie freudig begrüßt und aktiv unterstützt. Gerechtfertigt wird dies mit der goldenen Regel aller Stammtische: Wer nichts zu verbergen hat, muss auch nichts befürchten. Ganz ähnlich sieht man das in Nordkorea.

Ich werde versuchen dranzubleiben. Pfeifen Sie bitte!

Update 28.10.2015 10:04h
Hier die PM der in unserer Kanzlei sehr beliebten ZIT [2], die hier nicht durch besondere Professionalität aufgefallen ist. Auffällig dafür der Briefkopf (die Pressemitteilung rufen Sie auf: Hier!):

ZIT

Bild Grundgesetz © Tim Reckmann/pixelio.de

  1. [1]Vorsitzender Richter am BGH Thomas Fischer: Bitte entschuldigen Sie, Herr Edathy
  2. [2]Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität.