War die Kammer nüchtern?

random coil überschrieb den Kommentar zur Entscheidung mit „Anwaltsgericht Köln entscheidet kurz vor dem 11.11.2014 (11:11 Uhr) …

Da findet sich einiges in der Entscheidung, das ich Ihnen nicht vorenthalten will:

Nach Kenntnis der Kammer gilt beim Auswahlverfahren der Richter – natürlich auch der Verwaltungsrichter – das Leistungsprinzip, also das Prinzip der Bestenauslese. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, die einen gegenteiligen Schluss zulassen.
Quelle: AGH Köln 10 EV 255/11 v. 06.11.2014

Wenn es denn darauf ankam, warum hat die Kammer nicht dargelegt, warum sie diese besondere Sachkunde besitzt?

Ist es nicht allgemeinkundig [1], daß dort an den Richtertischen nicht immer die Besten sitzen?

Die Richterin ist sogar beleidigt worden. Nun ist das in deutschen Gerichtssälen nichts besonderes. Aber! Ein Rechtsanwalt schreibt:

Die Richterin hat diese Art, „staatstragend“ zu sein, offenbar aber so sehr internalisiert, dass sie wahrscheinlich schon gar nicht verstehen würde, wie sie auch anders hätte entscheiden können“

Unerhört! Eine Beleidigung! Ein Referendar mit rudimentären Kenntnissen im Äußerungsrecht würde sich erstaunt die Augen reiben:

Er hat der Richterin – wie die Rechtsanwaltskammer ausführt – die notwendigen intellektuellen Fähigkeiten abgesprochen, um ihren Richterberuf unter Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien ausüben zu können.
Dadurch, dass der Rechtsanwalt erklärte, die Richterin sei nicht in der Lage, auf der Grundlage von Recht und Gesetz zu entscheiden, hat er sie in ihrer Person geschmäht.

Über diese zwei Sätze kann man lange nachdenken – und grinsen :-)

Die Entscheidung läßt eine Auseinandersetzung mit der Meinungsfreiheit nicht erkennen.

Das Bundesverfassungsgericht würde wohl nur einen Textbaustein verwenden:

Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind (vgl. BVerfGE 85, 1 <14> ).
Quelle: Beschluss vom 25. Oktober 2012 – 1 BvR 901/11

Schneid hat er, der Herr Kollege! Die Äußerungen machte er gegenüber seinem Mandanten und schickte eine Kopie an das Verwaltungsgericht. Die Richterin muß sich wohl bei der Kammer beschwert haben, und die staatstragenden Damen und Herren Vorstandsmitglieder der Rechtsanwaltskammer Köln waren derart empört, daß sie einstimmig (21!) die Rüge bestätigten.

Ich will ‚mal hoffen, daß die Richter nicht nüchtern waren.

  1. [1]Allgemeinkundig ist eine Tatsache wenn sie einer beliebig großen Anzahl von Menschen bekannt oder für diese ohne weiteres zuverlässig wahrnehmbar ist, wie z.B. historische Ereignisse, Tag und Nacht, Entfernungen, Börsenkurse etc.

Vorstandswahlen RAK Berlin 11. März 2015

RA_Jede

 

 

 

Und keiner soll sagen, er hätte es nicht gewußt!

Es tut sich Gewaltiges im Berufsrecht der Rechtsanwälte. Es sind keine Marginalien, die da geändert werden. Diese Änderungen werden das Gesicht der Anwaltschaft in einer Art und Weise verändern, wie wir es nicht wahrhaben wollen. Wir werden in den Spiegel schauen und uns nicht wiedererkennen.

Beispiele gefällig? In England wurden ABS für Anwaltsleistungen zugelassen, die in der Hand von Investmentfunds oder Rechtsschutzversicherungen sind.[1] Eine Tochtergesellschaft der deutschen DAS bietet Rechtsberatung für monatlich 7,99 £[2].

Der Preis ist nicht das Problem. Problematisch ist, daß das Kapital dieser Gesellschaften zu 100% von Nicht-Anwälten gehalten werden darf und die Geschäftsführung aus einer Doppelspitze bestehen darf, deren Geschäftsführer für Verwaltung und Finanzen kein Anwalt sein muß. Heuschrecken werden die Regeln der Anwaltsgesellschaften bestimmen, der Profit wird alleiniger Maßstab anwaltlichen Handelns sein.

Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft steht auf dem Prüfstand. Hier müssen wir mit aller Vehemenz zu Verteidigern werden!

In Deutschland liegen die Konzepte für die dringend notwendige Änderung des Gesellschaftsrechtes der Anwaltschaft auf dem Tisch. Ich denke nicht, daß eine Zulassung der ABS oder der deutschen KG zur Anwaltschaft der richtige Weg ist. Das Fremdbesitzverbot muß erhalten bleiben, eine weitere Kommerzialisierung des Berufs ist mit aller Macht zu vermeiden.

Ein anderes Thema ist die Altersvorsorge der Syndikusanwälte.[3] Die Entscheidungen des Bundessozialgerichtes sind für diese Kollegen untragbar. Hier gilt es aber, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten, eine Zweiteilung der Anwaltschaft in Anwälte 1. und 2. Klasse zu verhindern.

Ich begrüße die Kandidatur von Syndikusanwälten für den Vorstand der Rechtsanwaltskammern, wenn sie nicht nur Partikularinteressen vertreten, sondern die Interessen der gesamten Anwaltschaft im Blick haben.

Seit dem Jahr 2000 gehöre ich ununterbrochen dem Vorstand in den unterschiedlichsten Funktionen an und gehöre damit zu seinen dienstältesten Mitgliedern. Meine Erfahrungen möchte ich auch weiterhin einbringen!

Meine berufspolitischen Vorstellungen sind sicherlich konservativ; wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, schauen Sie sich meine Beiträge zum Thema Berufsrecht auf dem Blog unserer Partnerschaft an. Gerne werde ich Ihre Fragen zum Thema beantworten. Schreiben Sie mir eine eMail oder diskutieren Sie hier in den Kommentaren.

Alle zwei Jahre, in den ungeraden Jahren, finden in den Kammerversammlungen Wahlen statt. 2011 und 2013 hatte ich schon zur Wahl aufgerufen.

Auf der Website der Rechtsanwaltskammer Berlin ist eine Seite eingerichtet worden, auf der sich die Kandidaten vorstellen können: hier!

  1. [1]ABS = Alternative Business Structures, vgl. Weil: NOCH EINMAL: ENGLISCHE ABS
  2. [2]https://www.instantlawline.co.uk/
  3. [3]vgl. die Zusammenstellung auf der Website der Kammer: Zur Versorgungssituation der Syndikusanwälte

Befangen zugunsten des Mandanten

Ich bin selten sprachlos. Ich habe nur gestaunt. Und frage mich, was ich tun soll.

Wir vertreten den Beklagten. Termin heute vor dem Amtsgericht. Der Richter erklärt, daß er lange nach Entscheidungen gesucht habe. Und dann der Knall im All:

Der Begründungsaufwand für ein klagestattgebendes Urteil ist höher als für ein klageabweisendes Urteil. Ich werde die Klage abweisen.

Das habe ich mir schon oft gedacht aber noch nicht gehört. Vor solchen Richtern habe ich einfach nur Angst. Kein Proberichter, sondern weiterer aufsichtsführender Richter.

Was machen wir jetzt? Ein klassischer Fall von Befangenheit. Den Mandanten konnte ich nicht fragen und er hätte wohl auch einem Befangenheitsantrag nicht zugestimmt.

Beschwerde an den Präsidenten des Amtsgerichtes? Benötige ich für die Beschwerde die Genehmigung des Mandanten?

Mal wieder Fachanwälte – BVerfG

Meine Einstellung zur gesetzlich normierten Irreführung des Rechtssuchenden ist bekannt.

Offensichtlich ist die Bezeichnung „Fachanwalt“ an die Bezeichnung „Facharzt“ der Ärzteschaft angelehnt. Während aber beispielsweise der Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten eine Weiterbildungszeit von 60 Monaten an einer Weiterbildungsstätte absolvieren muß, wird man Fachanwalt für Strafrecht, wenn man unter anderem an einem anwaltsspezifischen Lehrgang teilgenommen hat, der eine Gesamtdauer von mindestens 120 Stunden aufweist, und 60 Strafrechtsfälle (davon mindestens 40 Hauptverhandlungstage vor dem Schöffengericht oder einem übergeordneten Gericht) nachweisen kann.
Quelle: Website Dr. Schmitz & Partner

Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht nochmal nachgelegt:

Im maßgeblichen geltenden Gesetzes- und Satzungsrecht findet sich keine ausdrückliche Regelung iSd Art 12 Abs 1 S 2 GG, nach der die Befugnis zur Führung der Fachanwaltsbezeichnung mit dem Ausscheiden aus dem Anwaltsberuf erlischt und somit nach Wiederzulassung zur Anwaltschaft die Fachanwaltsbezeichnung gemäß den allgemeinen Regeln für die erste Gestattung erneut erworben werden muss.
Quelle: BVerfG 22.10.2014 – 1 BvR 1815/12 –

Im Klartext: Eine Rechtsanwältin schaffte es den Kurs zu bezahlen, die Termine abzusitzen und die Tests am Ende zu bestehen. Viel schwieriger war es, die 60 Fälle nachzuweisen, schließlich lief das Geschäft nicht so richtig. Dann wird sie Mutter und bleibt ein paar Jahre zuhause. Um auch an etwas anderes als Windeln zu denken, macht sie einmal im Jahr Urlaub beim Deutschen Strafrechtstag und trifft sich mit netten Kollegen von früher im Wellnessbereich des Hotels, hört sich an, was die Dozenten Sinniges und Unsinniges zu erzählen haben und erhält die notwendige Bescheinigung über eine 10-stündige Fortbildung im Strafrecht.

Nach 10 Jahren beantragt sie ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und ist auch wieder sofort Fachanwältin für Strafrecht. Die letzte Strafsache hat sie vor 10 Jahren gemacht.

Anekdote zu Fachanwälten gefällig?

Fachanwalt für Strafrecht und Lehrbeauftragter für Strafrecht an der Fachhochschule A-O in einem Schriftsatz an das Gericht. Sein Mandant soll Geschädigter eine gefährlichen Körperverletzung, § 224 StGB sein:

Es wird gemäß § 396 Absatz 1 Satz 1 StPO mitgeteilt, daß sich mein Mandant, Herr XY dem Verfahren als Nebenkläger anschließt und zugleich beantragt, die Nebenklage zuzulassen.

Für die Laien: Die Nebenklage muß in den schweren Fällen, die in § 395 Abs. 1 StPO aufgeführt sind, nicht zugelassen werden. Der Anschluß wird erklärt. Basta. Nur in den Fällen des Absatzes 3 bedarf es besonderer Gründe für den Anschluß als Nebenkläger und das Gericht muß entscheiden, ob der Anschluß geboten ist.

Wenn es doch nur so einfach wäre

Bild Knüppel im SackAus meiner Reihe Jounalistenbeschimpfung nachfolgend Gedanken zum Beitrag in der Welt v. 22.06.2014 „Enormes Qualitätsgefälle bei deutschen Rechtsanwälten“ von Joachim Wagner, der seit Tagen die Anwälte beschäftigt.

Am Beispiel eines „schwarzen Schafes“ wird der Niedergang der Anwaltschaft beschrieben. So weit, so nicht gut! Lassen Sie mich einige der Aussagen hinterleuchten.

Durchschnittlich 27 Prozent der Absolventen bestehen das zweite Examen mit „ausreichend“ und haben aufgrund des Überangebots von Juristen auf dem Markt keine Chance. In einigen Bundesländern sind es sogar 40 Prozent. Die meisten von ihnen haben keine Alternative zum Anwaltsberuf, können zum Beispiel nicht Richter werden.

Hier wird eine Korrelation zwischen Examensnoten und Marktchancen behauptet aber nicht belegt. Ich bin im Vorstand der Rechtsanwaltskammer derzeit in der Abteilung zuständig, die für die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zuständig ist und habe jeden zweiten Tag die Zulassungsakten mit den Zeugnissen und Lebensläufen der Bewerber auf dem Tisch. Selbst die großen Anwaltsfabriken stellen Berufsanfänger mit „schlechten“ Noten ein. Warum? Die Bewerber stechen aus der Masse durch qualifizierende Besonderheiten heraus. Promotion, Auslandsaufenthalte, Fremsprachen, Veröffentlichungen, etc.

Wie das? Schlechte Noten und Promotion? Ja. Die Promotionsordnungen sind sehr unterschiedlich und der Dr. muß kein Dr.iur. sein.

Und schlechte Noten sind sehr sehr relativ. Schauen Sie sich ‚mal die Statistiken des Bundesministeriums der Justiz an. Beispielsweise 10 Jahre alte Zahlen (2004, damals war alles besser!)

  • Erstes Staatsexamen
  • knapp 13.000 geprüfte Kandidaten
  • nur 74 % haben bestanden. Also eine Bestenauswahl!
  • von den knapp 10.000 Bestandenen haben nur 25 mit „sehr gut“ bestanden!
  • Diese 25 verteilen sich auf acht Bundesländer, in den anderen gab es kein „sehr gut“
  • 2.7 % haben mit gut bestanden[1]
  • Bei Juristen gibt es die Besonderheit, daß es eine Notenstufe mehr gibt: „voll befriedigend“ und „befriedigend“
  • „voll befriedigend“ haben nur 13 % der geprüften Kandidaten erreicht, „befriedigend“ 27,6 %
  • „ausreichend“ 30,9 %
  • Zweites Staatsexamen (Richterexamen)
  • von den ca. 11.000 geprüften Juristen haben nur 85 % das Examen bestanden.
  • nur 8 mit der Note „sehr gut“ aus nur vier Bndesländern.
  • 2.2 % „gut“, 15,8 % „vollbefriedigend“, 35,7 % „befriedigend“ und 31,7 % „ausreichend“

Im Großen und Ganzen hat sich in den letzten 20 Jahren an den Statistiken nichts geändert. Mit fortschreitender Berufserfahrung wird die Examensnote immer irrelevanter – wenn sie denn überhaupt etwas über die Qualität der beruflichen Arbeit aussagt. Ich kenne viele Kollegen – und – deren Kennzahlen und Examensnoten. Ich hatte noch nie den Eindruck, daß die erfolgreichen Kollegen überdurchschnittlich gute Examensnoten haben.

Der Autor hat auch diverse Vorschläge, der Reihe nach:

Dagegen helfen nur höhere Zulassungsbeschränkungen an juristischen Fakultäten und eine zweite, praktische Ausbildungsphase, die auf die verschiedenen Sparten juristischer Berufe vorbereitet und in der Richter, Anwälte oder Verwaltungsjuristen qualifiziert werden.

Dass Thema ist nun wirklich durch, das Bundesverfassungsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen klargestellt, daß der Berufszugang nicht derart beschränkt werden darf. Zu viel verlangt von einem Journalisten, daß er das recherchiert oder zumindest nach numerus clausus googelt und zur gleichnamigen Entscheidung des BVerfG gelangt? Sechs, setzen!

Und der Vorbereitungsdienst nach dem Ersten Staatsexamen, das Referendariat, ist genau das, was der Autor fordert.

Es werden zahlreiche (angebliche) Mißstände aufgelistet, u.a.:

Besonders groß ist die Klagefreudigkeit in Ostdeutschland. In Sachsen klagen Hartz-IV-Empfänger dreimal so häufig wie in Nordrhein-Westfalen. Die Motoren, die diese Maschinerie am Laufen halten, sind Anwälte. In Thüringen hat der Rechtsanwalt … 2010 sage und schreibe 6300 Widersprüche eingelegt und 5300 Klagen erhoben. Um sich gegen diese Widerspruchs- und Klagewelle eines einzigen Anwalts zu stemmen, haben das betroffene Jobcenter bis zu zehn Mitarbeiter und das Sozialgericht Nordhausen bis zu zehn Richter zusätzlich eingesetzt.

Was will er uns damit sagen? Es wäre besser gewesen, staatlicherseits die Ressourcen in die Entscheidung der Anträge der Hartz-IV-Empfänger zu stecken, anstatt in die Abwehr der Klagen, von denen nahezu jeder zweiten stattgegeben wird und nur ca. 10 % abgewiesen werden? (WELT v. 20.05.2013)

Wie sieht die Lösung des Herrn Redakteurs aus: Nein, sehr geehrter Hartz-IV-Empfänger, ich mach die Klage nicht, das rechnet sich nur bei massenhafter Betreibung? Oder noch gemeiner (jedenfalls für die Gerichte und Behörden): Der Anwalt drückt dem potentiellen Mandanten einen vorbereiteten Zettel in die Hand, der alle Formalien der Klage enthält und fordert ihn auf, die Begründung selbst zu schreiben, es ist ja sowieso egal, wie die Klage begründet ist, sie wird sowieso Erfolg haben? Das Gejaule der Gerichte und Agenturen möchte ich nicht hören, wenn die Zustellungen an den Kläger selbst erfolgen müssen und sie sich mit dessen Argumenten auseinander setzen müssen, zumindest lesen müssen. Ich denke, die Gerichte sind in den beschriebenen Fällen, Standard-Fällen, dankbar, daß die Klagen nicht besonders begründet werden. Das würde weiteren Aufwand bedeuten, der angesichts des notwendigen Procederes nur aufhalten würde.

Dann kriegt die Anwaltsgerichtsbarkeit ihr Fett weg:

Anwaltsgerichtsbarkeit? Ein zahnloser Tiger

Was ist zu tun? Die Anwaltschaft sollte die Diskussion über Ethik-Richtlinien wieder aufnehmen, um sich einen Kompass zu geben. Zwar hat sich das Anwaltsparlament 2011 gegen einen Kodex ausgesprochen, aber das war offenbar eine Funktionärsentscheidung, die im Widerspruch steht zur anwaltlichen Basis. Denn nach einer empirischen Umfrage[2] befürworten 77 Prozent der Anwälte berufsethische Richtlinien. Es ist nicht einzusehen, warum sich Banken und Unternehmen freiwillig Professional-Governance-Regeln für gute Unternehmensführung unterwerfen, die Advokatur hingegen nicht.

Funktionärsentscheidung – das ist was Schlechtes!

Genauso schlecht wie der Gesetzgeber! Entscheidung demokratisch legitimiert = Funktionärsentscheidung. Was für ein Demokratieverständnis?

Aber vielleicht beschäftigt sich der Herr Journalist auch mit den möglichen Gründen dieser Entscheidung, mit der breit geführten Diskussion, beispielsweise bei uns veröffentlicht: hier?

Mit Verlaub, Herr Wagner, ich möchte mich nicht mit Banken und Unternehmen vergleichen lassen. Noch bin ich unabhängiges Organ der Rechtspflege, besonderen Regeln unterworfen, die mir den Wettbewerb mit Banken und Versicherungen – aus guten Gründen – nicht gestatten. Aber Ihnen ist insofern Recht zu geben, als die Tendenzen dahin gehen, den Beruf völlig frei zu geben. Ich werde damit leben können, wahrscheinlich erfolgreicher als mit den „Behinderungen“ meines Berufsrechts. Der Rechtsstaat auch? Wenn Sie mir die paar noch verbliebenen Rechte nehmen, können Sie mich auch nicht mehr den Beschränkungen des Berufsrecht unterwerfen.

Das Beste kommt zuletzt:

Die Disziplinargerichtsbarkeit bei Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern, Architekten und Heilberufen ist schon vor Jahren den Straf- beziehungsweise Verwaltungsgerichten übertragen worden. Allein die Anwaltschaft hat bisher das Privileg verteidigt, über ihre Mitglieder selbst zu Gericht zu sitzen. Diese Sondergerichtsbarkeit sollte abgeschafft und der Strafjustiz übertragen werden. Denn die Anwaltsgerichtsbarkeit, die die Einhaltung des Berufsrechts durchzusetzen hat, war bisher ein zahnloser Tiger. Solange Anwälte oder eine Mehrheit von Anwälten über Kollegen zu Gericht sitzen, stehen sie im Verdacht, nach dem Prinzip zu handeln: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.[3]

Wenn Sie schon selber nicht in der Lage sind, Ihre Behauptungen zu überprüfen, gibt es keine Fachleute, die Sie fragen können? Oder wollen Sie die nicht bezahlen?

Kontrollfrage vorweg: Meinen Sie, es dient der Unabhängigkeit der Rechtsanwälten von staatlichen Institutionen – dem Herausstellungsmerkmal der deutschen Anwaltschaft – wenn der Richter, den ich erfolgreich wegen Befangenheit abgelehnt habe, über mich zu Gericht sitzt? De facto tut er es schon. Aber ist das gut?

Die wirklich wichtigen Entscheidungen der Rechtsanwaltskammer stehen zur Überprüfung durch die Anwaltsgerichtshöfe. Diese sind mit fünf Richtern besetzt, darunter zwei Richtern des jeweiligen Oberlandesgerichtes. Deren Entscheidungen können vom Bundesgerichtshof überprüft werden, dessen Anwaltssenat ebenfalls aus Anwälten und Richtern besetzt ist.

Nichts anders gilt bspw. für die Berufsgerichte der Heilgerichtsbarkeit, die sich aus Berufsrichtern und ehrenamtlichen Richtern aus den Berufsgruppen der jeweiligen Heilberufe zusammensetzen. Ich habe das jetzt nicht für die anderen freien Berufe überprüft, vermute jedoch dort ähnliche Regelungen. Ihre Behauptung ist schlicht falsch!

Die Anwaltsgerichtsbarkeit ein zahnloser Tiger? Ja, genauso wie die sonstige Gerichtsbarkeit auch. Denn auch für die Anwaltsgerichtsbarkeit gilt der Grundsatz, daß sie nur gesetztes Recht anwenden darf. Und die Entscheidungen werden nicht selten aufgehoben. Häufig vom Bundesverfassungsgericht! Die Kammern dürfen sich dann durchlesen, daß sie die Einhaltung von Regeln fordern, die keine gesetzliche Grundlage haben.

Wer lesen kann, soll lesen. Die Entscheidungen sind für jedermann leicht zu recherchieren. Na ja, offensichtlich nicht jedermann.

Nocheinmal: Die Situation von Anwälten und den anderen freien Berufen unterscheidet sich dadurch, daß viele Anwälte regelmäßig vor Gerichten auftreten. Die Stellung des Anwaltes bringt es mit sich, daß anläßlich der Vertretung der Mandanten Konflikte mit den Gerichten im System angelegt sind. Den Gerichten dann die berufsrechtliche Kontrolle zu übergeben, ist mit dem Konzept der freien Advokatur nicht vereinbar. Also bitte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen!

Ich habe es daher immer als falsch empfunden, wenn Anwälte dem Richterdienstgericht angehören.

  1. [1]Die Prozentangaben beziehen sich auf die geprüften Kandidaten, nicht die Bestandenen!
  2. [2]Hauptsache ein Fremdwort! Nicht eine Umfrage, sondern eine Umfrage, die sich auf wissenschaftliche Erfahrung stützt, um Erkenntnisse zu gewinnen
  3. [3]Nach meiner Erfahrung: Eher zwei!