Rechtswegverweigerung

Der Kollege Rolf Jürgen Franke hat auf seinem Blog Lichtenrader Notizen auf eine interessante Kleine Anfrage von Cornelia Seibeld (CDU) verwiesen:

„Der 31.12. kommt für die Berliner Gerichte offenbar immer wieder überraschend“

Wir haben am 21.01.2011 für einen Mandanten Klage beim Landgericht Berlin eingereicht. Der Schriftsatz endet mit den Sätzen:

Der Kläger muss davon ausgehen, dass die Beklagte keine Einwände gegen die Forderungen hat und lediglich die Zahlung verzögert, um dem Kläger zu schaden. In Vorgesprächen hat ein Beauftragter der Beklagten darauf verwiesen, dass der Vertragspartner de Klägers ruhig klagen könne, da auf einen vollstreckbaren Titel ca. zwei Jahre gewartet werden müsse.

Diesen Satz hat die Beklagte noch nicht gelesen. Denn die Klage ist ihr bisher nicht zugestellt worden. Die Eingangsregistratur des Gerichtes ist noch mit den Klagen vom Dezember beschäftigt.

Es handelt sich um ein offensichtliches Organsisationsverschulden der Justiz. Da nach den Geschäftsverteilungsplänen, die ich für einen eklatanten Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter halte, nicht mehr der Name oder die Sache für die Verteilung auf die Kammern relevant ist, sondern die sogenannten Nummernkreise, kann nur eine Sache nach der anderen in das System eingepflegt werden, es können nicht mehrere Mitarbeiter gleichzeitig die Aktenzeichen vergeben.

In der Antwort der Justizsenatorin sieht das dann so aus:

2. Besteht beispielsweise eine Urlaubssperre für die betroffenen Mitarbeiter z. B. in der Eingangsregistratur?

Zu 2.: Es wurde keine Urlaubssperre für betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeordnet. Bei den Amtsgerichten besteht aufgrund der kurzen Bearbeitungszeiten kein Grund für Urlaubssperren. Beim Landgericht können die Bearbeitungszeiten durch Urlaubssperren oder ähnliche Maßnahmen nicht verkürzt werden. Eine eventuell auftretende längere Bearbeitungsdauer beruht auf dem verfassungsmäßigen Gebot des/der gesetzlichen Richters/Richterin. Innerhalb der vom Präsidium des Landgerichts beschlossenen Turnusringe kann jeweils nur eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter tätig werden. Die Bearbeitungsdauer hängt daher vor allem von der Größe der Turnusringe ab. Dies führt dazu, dass bei Klagen, die nach dem Geschäftsverteilungsplan zu einem großen Turnusring führen, eine Eintragung und damit die Vergabe eines Aktenzeichens länger dauern kann.

3. Geht der Senat davon aus, dass ein Zeitraum von knapp drei Wochen angemessen ist, um ein Aktenzeichen für eine Klage zu vergeben?

Zu 3.: Der Senat ist stets bemüht, die Bearbeitungszeiten möglichst zu verringern. Die Verzögerungen bei der Vergabe von Aktenzeichen beruhen nach den obigen Ausführungen auf dem Gebot des/der gesetzlichen Richters/Richterin und dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Berlin. Bei allen Bemühungen können angesichts der geschilderten technischen Vorgaben in Einzelfällen Verzögerungen nicht vermieden werden.Hervorhebung durch den Verfasser

Der Senat stellt ein untaugliches System zur Verfügung, die Präsidien schaffen Geschäftsverteilungspläne, deren Zuordnungen von keinem Menschen, nur noch von Computern, nachvollzogen werden können, es sitzt nur noch ein Mitarbeiter der Eingangsregistratur vor dem Eingabegerät. Das wird dann euphemistisch als Folge des verfassungsrechtlichen Gebotes des gesetzlichen Richters verkauft.

Mein Mandant wird Insolvenz anmelden müssen, da der Genealunternehmer nicht zahlt und bewußt die Sache verzögert. Morgen sind fünf Wochen um und die Klage ist noch nicht zugestellt.

Das ist Rechtsverweigerung!

5 Kommentare
  1. Malte Grehsin
    Malte Grehsin sagte:

    Das ist nicht Rechtsverweigerung. Das ist das Ergebnis all der hingenommenen Fehler und Merkwürdigkeiten, welche wir nicht gerügt haben. Wir sind daher mitschuldig an der Erosion der Justiz durch den Einsatz moderner Datenverarbeitungstechniken und dem daraus folgenden Personalabbau.

    Eine dritte Gewalt ohne hinreichende Mittel kann nicht funktionieren. Sie verwaltet nur noch die Mängel, an denen sie nichts ändern kann. Zu den hinreichenden MItteln gehört auch soviel Personal, dass Urlaubs- und Krankenstände durch Vertreter aufgefangen werden können.

    Wieviel „Justiz im Hamsterrad“ (der Kosten-Leistungsrechnung) verträgt eine Demokratie?

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  2. RA Jede
    RA Jede sagte:

    Das Berliner Problem ist hausgemacht. Die Richter wollten mehrheitlich nicht mehr einen Geschäftsverteilungsplan, der nach Buchstaben oder Sachgebieten die Zuständigkeit verteilt.

    Sicherlich war hier die Angst vorherrschend, der eine würde mehr, der andere weniger arbeiten müssen.

    Man entschied sich für einen Geschäftsverteilungsplan, der für Menschen nicht mehr nachvollziehbar, geschweige denn überpfüfbar ist. Jeder Neieingang bekommt eine Nummer. In der Reihenfolge dieser Nummern muß die Eingabe im Computer erfolgen, der auf den Turnus verteilt.

    Die Rechtsprechung hat diese Verteilungspläne gebilligt, das Kammergericht hat mich mit einem o.u.-Beschluß gewatscht.

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    • RA Jede
      RA Jede sagte:

      Wer sich von den Kollegen für dieses abstruse Gebiet interessiert:
      Hier die Revision (o.u.)
      und hier die excellente Gegenerklärung der Generalstaatsanwaltschaft.

      Mein Lieblingssatz aus der Stellungnahme des Präsidenten des Amtsgerichtes Tiergarten:

      Aufgrund der Vielzahl der täglichen Eintragungen und der Komplexität der Anwendung läßt sich im Nachhinein nicht mehr nachvollziehen, aus welchen Gründen einzelne Abteilungen in einem konkreten Einzelfall übersprungen wurden.

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  3. Dominik Boecker
    Dominik Boecker sagte:

    o.u. == offensichtlich unzulässig?

    Ich erinnere mich auch noch mit Freude, dass IIRC 2004 oder 2005 mitten im Jahr eine „Klarstellung“ im GVP des LG Berlin vorgenommen wurde und eine der Spezialkammern (15/17 waren das IIRC) für allgemeine Sachen mit einem bestimmten Hintergrund (cold-calls) für zuständig erklärt wurden wegen „größerer Sachnähe“.

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  4. Malte Grehsin
    Malte Grehsin sagte:

    Interessante Dokumente. Mit Blick auf die sonst vom Bundesverfassungsgericht so hoch gehaltenen Dokumentationspflichten wäre das doch einmal eine Verfassungsbeschwerde wert gewesen.

    Denn ein Geschäftsverteilungsplan muss auch noch „funktionieren“, wenn die EDV ausfällt. Eine EDV, welche – wie der Vergleich der laufenden Nummern der Eintragung mit den laufenden Nummern der Aktenzeichen zeigt – willkürlich verteilt, kann die Regelungen des GVP nicht korrekt umsetzen.

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