Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren
[singlepic id=185 w=320 h=240 float=left]Der Rechtsanwalt wird sich einen Textbaustein zulegen müssen, um nicht selbst in die Haftung zu geraten.
Das Gesetz ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und den Stimmen der SPD bei Gegenstimmen der Linken und Enthaltungen der Grünen am 29.09.2011 beschlossen worden (BTPlProt 17/130, 15348 D).
Der Gesetzentwurf ist vom Ausschuß noch einmal wesentlich geändert worden: BTDrs 17/7217. Am Freitag, den 02.12.2011 wurde das Gesetz veröffentlicht und trat am Tag danach in Kraft.
Zentrale Vorschrift ist der neue § 198 GVG
(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.
(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.
(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.
(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.
Das Gesetz bietet einiges an Haftungspotential für den Rechtsanwalt. Wir werden dann jetzt in vielen Fällen die Rüge schon einmal sicherheitshalber erheben. Den Maßstab setzt das Gesetz leider nicht, wieder einmal wird der Rechtsprechung überlassen bleiben, Gesetzgeberpflichten zu erfüllen.
Das Bundesministerium für Justiz in seiner Presserklärung:
Der Schutz vor überlangen Verfahren wird positive Effekte für die Justiz insgesamt bringen. Wo viele berechtigte Klagen wegen der Verfahrensdauer erfolgen, werden die Verantwortlichen über Verbesserung bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken müssen. Der Gesetzentwurf stärkt somit nicht nur den Rechtschutz vor deutschen Gerichten, sondern auch die deutschen Gerichte selbst.
Na dann ;-)
Die Berliner RAK hat bereits reagiert und wird im nächsten Kammerton ein Interview mit der Präsidentin abdrucken, das Sie hier finden.
Der Entschädigungsanspruch für abgeschlossene Verfahren muß spätestens sechs Monate nach Rechtskraft der Ausgangsenstscheidung gerichtlich geltend gemacht werden. Die Frist läuft also seit dem 04. 03.12.2012!
Update 13:46h – Haftungsrisiko
Die Rüge in abgeschlossenen anhängigen Verfahren muß unverzüglich erhoben werden. Fallstrick ist hier Art. 23 des Gesetzes:
Artikel 23
Übergangsvorschrift
Dieses Gesetz gilt auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren, sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichts- hof für Menschenrechte ist oder noch werden kann. Für anhängige Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten schon ver- zögert sind, gilt § 198 Absatz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes auch für den vorausgehenden Zeitraum. Ist bei einem anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz erfolgt, bedarf es keiner Verzögerungsrüge. Auf abgeschlossene Verfahren gemäß Satz 1 ist § 198 Absatz 3 und 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht anzuwenden. Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes kann bei abgeschlossenen Verfahren sofort erhoben werden und muss spätestens am … [einsetzen: Datum des Tages, der sechs Monate nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes liegt] erhoben werden.