Der Trick der Bezirksrevisorin mit der Analogie

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LG Berlin – v. 31.03.2016 – 538 KLs 7-15 – zur Anrechnungsfreiheit eines ausschließlich für das Ermittlungsverfahren vereinbarten über dem dreifachen Satz der Wahlverteidigerhöchstgebühr liegenden Honorars auf die Tätigkeit des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren

Die Bezirksrevisorin läßt das Mausen nicht: Mit immer neuen Tricks versucht die Landeskasse, auf Kosten der (Pflicht-) Verteidiger Geld zu sparen.

Ich habe mit dem Mandanten eine Honorarvereinbarung ausschließlich für das Ermittlungsverfahren getroffen. Diese lag über dem dreifachen Satz der Wahlverteigerhöchstgebühr der Nrn. 4101, 4103 und 4105 VV-RVG. In der späteren Hauptverhandlung vor der großen Strafkammer erging ein Beiordnungsbeschluss.

Im Kostenfestsetzungsverfahren habe ich unter Offenlegung des Inhalts der Honorarvereinbarung die Festsetzung der auschließlich vor der Strafkammer angefallenen Verfahrensgebühr und zweier Terminsgebühren beantragt.

Das klingt auf den ersten Blick völlig unproblematisch und unspektakulär – dachte ich -,

wird doch mit der Neufassung des § 58 Absatz 3 Satz 1 RVG i.V.m. § 17 Absatz 1 Nr. 10 a RVG nicht mehr nach Verfahrensabschnitten sondern gebührenrechtlichen Angelegenheiten differenziert.

Die zur Altfassung des § 58 Absatz 3 Satz 1 RVG ergangene obergerichtliche Rechtsprechung zur Anrechnung der für das Ermittlungsverfahren vereinnahmten Gebühren auf die Pflichtverteidigergebühren für das Hauptverfahren ist seit Inkrafttreten der Neufassung des § 58 Absatz 3 Satz 1 RVG hinfällig; das erkennen nun selbst die Berliner Kostenbeamten an:

Mit dem 2. KostRMoG vom 23.07.2013 wurde § 58 Abs.3 Sz.1 RVG dahingehend geändert, dass aus dem Begriff“…bestimmte Verfahrensabschnitte…“ die klarstellende Formulierung „…in einer gebührenrechtlichen Angelegenheit…“ erfolgte. Danach dürfte die oben zitierte Rechtsprechung (Anm. d. Verf.: KG, Beschl. v. 25.07.2008 -1 Ws 124/08) hinfällig geworden sein, und nunmehr unter Beachtung des § 17 Nr. 10 und 10 a) RVG (in der Fassung seit dem 01.08.2013) eine Anrechnung von erhaltenen Zahlungen nur auf Gebühren des Ermittlungsverfahrens bzw. nur auf Gebühren des gerichtlichen Verfahrens zulässig sein, wenn dies in einer Honorarvereinbarung zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten so vereinbart wurde.

Das Ergebnis dieser Überlegung des Bezirksrevisors ist eindeutig und dürfte keine Zweifel an der Anrechnungsfreiheit aufkeimen lassen. Wenn da nicht die Bezirksrevisorin selbst wäre, die mit ihrer eigenen Feststellung nicht einverstanden ist.

So kann der Gesetzgeber das doch nicht gemeint haben!

Richtig ist doch, dass die Wertobergrenze des § 58 Absatz 3 Satz 4 RVG eine allgemeine wirtschaftlichen Obergrenze beinhaltet, die – weil vom Gesetzgeber planwidrig nicht in § 58 RVG aufgenommen – nunmehr analog auf § 58 Abs. 3 Satz 1 RVG anzuwenden sei und doch zu einer Anrechnung führen muß:

In Anbetracht dieser Überschreitung der Höchstgebühren, halte ich eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 Satz 4 RVG in der Fassung seit dem 01.08.2013 vorliegend für gerechtfertigt, sodass nach hiesiger Rechtsauffassung eine Anrechnung auf die Gebühren im Ermittlungsverfahren nur insoweit zu erfolgen hat, als hier die Höchstgebühren eines Wahlverteidigers zu berücksichtigen sind.

Der diese Höchstgebühren übersteigende Betrag ist dann im Rahmen des § 58 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG auf die im gerichtlichen Verfahren anfallenden Pflichtverteidigergebühren anzurechnen.

Bei nur zwei Hauptverhandlungstagen blieb dann für die Urkundsbeamtin nichts mehr übrig zum Festsetzen!

Ich neige dazu, zum Telefon zu greifen, wenn mir etwas nicht passt oder einleuchtet. Das traf hier beides zu. Der Anruf kam für die Urkundsbeamtin wohl nicht überraschend; hatte sie doch die Akte in Erwartung einer Erinnerung noch in Griffnähe. Diese sicherte ich ihr zu. Ich hatte im Gespräch den Eindruck gewonnen, dass auch ihr an einer gerichtlichen Klärung gelegen sei.

Das Landgericht Berlin hat dann geklärt und der forschen Analogiebildung der Bezirksrevisorin mit Beschluss vom 31.03.2016 – (538 KLs) 283 Js 2801/14 29103V (7/15) Kbd 1 – eine deutliche Abfuhr erteilt:

II Das Verfahren war gemäß §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG der Kammer zur Entscheidung zu übertragen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Zu der von der Bezirksrevisorin angeregten und in der angefochtenen Festsetzung vorgenommenen analogen Anwendung des § 58 Abs. 3 S. 4 RVG gibt es, soweit ersichtlich, bislang keine obergerichtliche Rechtsprechung.

Die Erinnerung des Rechtsanwalts ist gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 RVG zulässig. Sie ist auch überwiegend (Anm. d. Verf.: Ich hatte eine Gebühr falsch berechnet) begründet.

1. a) Die Zahlung des Verurteilten auf das mit dem Erinnerungsführer für das Ermittlungsverfahren vereinbarte Pauschalhonorar ist nicht gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 RVG auf die Tätigkeit des Verteidigers im gerichtlichen Verfahren des ersten Rechtszuges anzurechnen.

Die Begründung läßt erkennen, dass sich hier jemand richtig reingekniet hat; deshalb weiter im Wortlaut:

Denn nach dem hier gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 RVG maßgeblichen Recht, nämlich §§ 17 Nr. 10, 58 Abs. 3 RVG in ihrer seit dem 1. August 2013 gültigen Fassung, sind das Ermittlungs- und das Strafverfahren nicht mehr als eine Angelegenheit anzusehen (vgl. dazu schon Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl. 2013, § 17 Rn 128 m.w.N., sowie den Wortlaut von § 17 Nr. 10a RVG). Dies hat zur Folge, dass Vorschüsse und Zahlungen, welche der Verteidiger für das Ermittlungsverfahren erhalten hat, nicht auf seine Pflichtverteidigervergütung für das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges anzurechnen sind (so auch Kießling, in Mayer/Kroiß (Hrsg.), RVG, 6. Aufl. 2013, § 58 Rn 29; Volpert, in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 4. Aufl. 2014, § 58 Rn 20; Ahlmann, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 1O. Aufl. 2015, § 58 Rn 29; Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl. 2015, § 58 Rn 69) – ebenso wie dies auch nach dem vor dem 1. August 2013 geltenden Recht bereits für das gerichtliche Verfahren des ersten Rechtszuges einerseits und das Berufungs- oder Revisionsverfahren andererseits galt (vgl. Kießling, a.a.O., Rn 28; Volpert, a.a.O., Rn 21; Ahlmann, a.a.O.; Burhoff, a.a.O.).

b) Die Kammer folgt nicht der Einschätzung der Bezirksrevisorin, die Höhe der vereinbarten Zahlung des Verurteilten auf die Gebühren des Ermittlungsverfahrens rechtfertige eine analoge Anwendung des § 58 Abs. 3 S. 4 RVG. Denn eine analoge Anwendung einer gesetzlichen Vorschrift erfordert stets eine planwidrige Regelungslücke des Gesetzes (vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. Juli 2008 – II ZB 40/07, BeckRS 2008, 19209; Meissner/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schech/Schneider/Bier, VwGO, 29. EL Oktober 2015, § 173 Rn 55; Stein, in Münchener Kommentar zum AktG; 4. Aufl. 2016, § 179a Rn 85; alle zitiert nach beck-online). Von einer solchen planwidrigen Lücke kann angesichts des Umstandes, dass der Gesetzgeber bei Neufassung der §§ 17 Nr. 10, 58 Abs. 3 RVG die frühere Streitfrage, ob das Ermittlungs- und das Strafverfahren einen „Verfahrensabschnitt“ bildeten, der bisherigen Mindermeinung folgend dahingehend klargestellt hat, dass es sich um verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten handelt, so dass eine Anrechnung nicht in Betracht kommt (vgl. Kießling, a.a.O., Rn 29; Volpert, a.a:.O., Rn 20; Ahlmann, a.a.0.; Burhoff, a.a.O., Rn 69 f.), nicht die Rede sein. Soweit vereinzelte Stimmen auch nach der gesetzlichen Neuregelung noch die Ansicht vertreten, Vorschüsse, die der Anwalt im Ermittlungsverfahren erhalten habe, seien auf die Pflichtverteidigervergütung des erstinstanzlichen Verfahrens anzurechnen, da es sich um denselben Instanzenzug und damit um dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit handele (Bräuer, in: Bischof u.a., RVG Kommentar, 7. Aufl. 2016, Rn 19, unter Anführung obergerichtlicher Rechtsprechung aus den Jahren 2008 bis 2011, also zur alten Gesetzesfassung), steht diese Auslegung der „gebührenrechtlichen Angelegenheit“ in eklatantem Widerspruch zur Legaldefinition verschiedener Angelegenheiten in § 17 Nr. 10a RVG „Verschiedene Angelegenheiten sind das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren“).

Soweit die Bezirksrevisorin zur Stützung ihrer Ansicht, eine analoge Anwendung von § 58 Abs. 3 S. 4 RVG sei gerechtfertigt, darauf verweist, der Sinn der Vorschrift erschließe sich anders nicht, rechtfertigt auch dies nicht die angestrebte Analogie. Denn zum einen bezieht sich § 58 ·Abs. 3 S. 4 RVG ausdrücklich auf § 58 Abs. 3 S. 3 RVG und setzt damit voraus, dass eine Anrechnung oder Rückzahlung überhaupt in Betracht zu ziehen ist, was gemäß § 58 Abs. 3 S. 1 RVG nur bei einer gebührenrechtlichen Angelegenheit der Fall ist, nicht aber bei verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten. Und zum anderen wollte der Gesetzgeber mit § 58 Abs. 3 S. 4 RVG eine spezielle Streitfrage klären (vgl. schon Burhoff, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl. 2013, § 58 Rn 79; vgl. weiterhin Kießling, a.a.O., Rn 33; vgl. auch Ahlmann, a.a.O., Rn 31) und nicht etwa eine allgemeine wirtschaftliche Obergrenze setzen.

Ob die Bezirksrevisorin Beschwerde eingelegt hat, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen.

Irgendwie hoffe ich es!

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