„… wie das Gesetz es befahl?“

Warum der Staat in der Liechtensteiner Steueraffäre rechtswidrig gehandelt hat– eine Erklärung für Nicht-Juristen.

Recht und Rechtsgefühl liegen oft weit auseinander. Das gilt für die unbeteiligte Bevölkerung, der man es vielleicht nachsehen will, aber leider auch– und immer öfter, wie es scheint– für die Diener des Staates, dessen erste Aufgabe es sein soll, das Recht zu beschützen. Das Gefühl sagt den meisten, dass es immer gut sei, wenn die Wahrheit aufgeklärt und der Gerechtigkeit genüge getan wird. Das Recht hingegen, so wie es die Väter unseres Grundgesetztes festgelegt haben, begreift, dass es Situationen gibt, in denen die Enthüllung der Wahrheit hinter anderen, höheren Gesetzen zurückstehen muss. Dann müssen dem Staat bei seinem Versuch, die Tatsachen ans Licht zu bringen, Schranken gesetzt werden, damit die Gesamtordnung des Rechtsstaats bestehen bleiben kann. Wie sich das juristisch auf die Liechtensteiner Steueraffäre auswirkt, wollen wir hier einmal so verständlich wie möglich darlegen. Wir setzen dabei das Wissen um die wesentlichen Fakten voraus (zusammenfassend nachzulesen in diesem Artikel des Handelsblatts) und konzentrieren uns hier (im Gegensatz zu vielen Veröffentlichungen, denen es um den Nachweis einzelner Straftatbestände geht) auf die Grundlagen des Rechtsstaats.

Der deutsche Staat hat das Recht und die Pflicht, Steuerhinterziehung zu bestrafen. Der deutsche Staat hat auch das Recht und die Pflicht, Hinweisen, dass jemand Steuern hinterzieht, nachzugehen. Warum, so könnte man also fragen, soll er unrechtmäßig gehandelt haben, indem er akzeptierte, als ihm im Februar 2008 von einem Mitarbeiter der Liechtensteiner LGT Bank eine CD mit den illegal erworbenen Daten von „Steuersündern“ angeboten wurde? Er hatte Hinweise erhalten, er ermittelte, er gelangte an Beweise, er brachte die „Schuldigen“ zur Anklage: Ist das kein rechtmäßiges Verfahren

Es bedarf immer einer komplizierten Abwägung, um zu entscheiden, wie weit der Staat in seiner Aufgabe, Straftaten zu verhindern oder zu bestrafen, gehen darf. Die Schranken sind in Deutschland wahrlich nicht besonders eng. Anders als in den USA etwa, wo jeder Beweis, der in irgendeiner Form durch eine Straftat gewonnen wurde, als „Frucht des vergifteten Baumes“ vor Gericht wertlos ist, wird im deutschen Recht die Wahrheitsfindung so hoch geschätzt, dass Beweise, die von Privatpersonen durch Straftaten erworben und an die Behörden weitergegeben werden, verwertbar sind, solange jene Straftaten keine essentiellen Menschenrechte verletzt haben. In zwei hier relevanten Punkten ist das deutsche Recht aber sehr streng: Niemals darf der Staat gegenüber den Bürgern willkürlich handeln und ohne Verdachtsmoment Informationen über sie sammeln, die zu strafrechtlichen Zwecken verwendet werden sollen. Und niemals darf das Trennungsgebot zwischen den Strafverfolgungsorganen des Staates und seinen Geheimdiensten oder dem Verfassungsschutz verletzt werden. Was bedeutet das?

Informationelle Selbstbestimmung

Das Grundgesetz sieht ein Recht zur „informationellen Selbstbestimmung“ der Bürger vor. Jeder Bürger darf also selbst entscheiden, inwieweit er Informationen zu seinem persönlichen Leben preisgibt. In dieses Recht darf der Staat nur eingreifen, wenn der entsprechende Bürger in den begründeten Verdacht gerät, eine Straftat begangen zu haben. Wenn ein solcher Verdacht nicht besteht, hat der Staat keinerlei Befugnis, Informationen über den Bürger ohne dessen Einverständnis zu sammeln. (Es sei darauf hingewiesen, dass wir hier von der rechtlichen Theorie, nicht der behördlichen Praxis sprechen…) In diesem Sinne entschied beispielsweise der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts im August 2009, dass ein Bußgeld wegen Geschwindigkeitsübertretung ungültig sei, das auf Grundlage einer allgemeinen Kontrolle des Verkehrs durch eine versteckt angebrachte Videokamera auf einer Autobahn verhängt worden war (– 2 BvR 941/08 –). Das mecklenburg-vorpommerische Wirtschaftsministerium hatte die Anbringung der Videokamera verordnet, um zu kontrollieren, dass die Fahrer auf der Autobahn den Mindestabstand einhalten. Auch diese Maßnahme als solche erklärte das Gericht für rechtswidrig, da ohne Unterschied alle Verkehrsteilnehmer gefilmt wurden und niemand die Möglichkeit hatte, „sich durch rechtmäßiges Verhalten der Videoaufzeichnung zu entziehen“. Hier lag also ein ganz klarer und ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vor.

Rechtswidriges Handeln der Behörden

Der Zusammenhang mit der Liechtenstein-Affäre wird ersichtlich, wenn man weiß, dass auf dem von den Behörden erworbenen Datenträger nicht etwa nur die Geschäftsgeheimnisse von „Steuersündern“, sondern auch Informationen über gänzlich legale Stiftungen abgespeichert waren, wie dem Staat spätestens nach der Entgegennahme von Stichproben hätte ersichtlich sein müssen (vgl. FAZ-Artikel, vor allem zweiter Absatz). Schlimmer noch: Neben geschäftlichen Daten sind offenbar auch höchst private und damit für die Ermittlungsbehörden gänzlich irrelevante Details durch den Kauf der CD den Behördenmitarbeitern dauerhaft zugänglich geworden. (Es geht die Rede von Zweit- und Drittfrauen, unehelichen Kindern und dergleichen). Ein solcher Eingriff in die Privatsphäre ist für die tatsächlichen „Steuersünder“ schon nicht mehr zu rechtfertigen; für die Inhaber legaler Stiftungen stellt es eine völlig inakzeptable Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung dar. Der Logik des oben genannten Beschlusses folgend müssten sämtliche Daten daher unverwertbar und das Erwerben der CD rechtswidrig sein, denn niemand hatte die Möglichkeit „sich durch rechtmäßiges Verhalten“ vor der kriminellen Bloßlegung seiner intimsten Geheimnisse durch den Staat zu schützen.

Trennungsgebot

Die Trennung der Geheimdienste sowie des Verfassungsschutzes von strafverfolgenden Behörden ist eine Grundnotwendigkeit des Rechtstaats und ergibt sich in Deutschland insbesondere aus den Erkenntnissen der Geschichte. Sowohl das Dritte Reich als auch die DDR untergruben das Rechtsstaatsprinzip dadurch, dass sie ihre Geheimdienste dafür einsetzten, Informationen über die Bevölkerung zu sammeln, und diese an die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften weitergeben ließen. Auch in der Bundesrepublik sind die Geheimdienste rechtlich mit erheblichen Möglichkeiten zur Informationsgewinnung ausgestattet. Der BND, um den es in diesem Fall geht, darf zur Gewinnung von Informationen „über Vorgänge im Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind“ (§2 BND-Gesetz) so manches tun, was unsere Polizei aus guten Gründen nicht tun darf. Wenn er einem Informanten also hohe Millionengelder bezahlt und ihm schließlich noch eine neue Identität verschafft, um gegen terroristische Aktivitäten oder dergleichen vorzugehen, so ist das sein gutes Recht. Wenn er seine Ermittlungen aber gegen die Steuerkriminalität richtet, die seinen Aufgabenbereich nirgends berührt, und ihm seine Arbeit dann auch noch von den Steuerfahndungsbehörden finanziert wird, denen er die relevanten Informationen zukommen lässt, dann überschreitet er nicht nur seine Kompetenzen, sondern verstößt grob gegen das Trennungsgebot.

Resümierend kann also festgehalten werden, dass der Staat zunächst gar kein Recht hatte, die auf dem Datenträger enthaltenen Informationen zu erwerben. Zudem aber wurden diese auch noch von einer nicht zuständigen Behörde beschafft und unter Übertretung des Trennungsgebots an die Finanzbehörden weitergegeben. Eindeutiger kann ein Verwertungsverbot kaum verursacht werden. Die Gerichte werden die Stringenz dieser Argumentation anerkennen müssen– andernfalls wäre dem Herumschnüffeln der Geheimdienste in der Privatsphäre der Bürger Tür und Tor geöffnet und der Rechtsstaat in ernsthafter Gefahr. In dieser Erkenntnis darf man sich auch nicht vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom November 2010, eine entsprechende Beschwerde gegen eine Wohnungsdurchsuchung nicht anzunehmen, irritieren lassen (Beschluss). Hier kritisierten die Richter, dass die Beschwerdeführer ihre Argumentation gegen die Verwertbarkeit des Liechtensteiner Datenträgers nicht schon in den vorangehenden Prozessen vorgebracht hatten. Die Klage scheiterte also an einem Formfehler, der Beschluss sollte nicht als endgültige Entscheidung des BVerfG hinsichtlich der Verwertbarkeit der Daten angesehen werden– auch wenn die Presse ihn so interpretiert.

Einzelheiten zum Thema auf unserer Liechtenstein-Steuer-CD-Seite: hier.

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlassen Sie uns Ihren Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert