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Von einem anderen Stern

Der BGH hat Anwälten wieder erklärt, was sie zu tun haben. BGH v. 20.08.2019 – VIII ZB 19/18

Aus dem Beschluß:

Ihr Wiedereinsetzungsbegehren hat die Klägerin danach – unter Vorlage von Sendeprotokollen für einen Zeitraum von 15.43 Uhr bis zuletzt 19.01 Uhr – im Wesentlichen damit begründet, dass das Gericht am Tag des Fristablaufs – 21. November 2017 – in der Zeit von 15.43 Uhr bis ca. 20.00 Uhr per Telefax nicht erreichbar gewesen sei. Auch eine telefonische Kontaktaufnahme ab etwa 17.00 Uhr sei nicht möglich gewesen. Auf den Hinweis des Vorsitzenden der Berufungskammer, wonach Bedenken gegen die Gewährung einer Wiedereinsetzung bestünden, da die Übermittlungsversuche bereits gegen 20.00 Uhr und damit vorzeitig abgebrochen worden seien, erwiderte die Klägerin, es habe offensichtlich ein technischer Defekt des Empfangsgeräts vorgelegen. Sie habe insgesamt mehr als 54 Übermittlungsversuche unternommen; weitere Versuche bis 23.59 Uhr könnten von ihr nicht verlangt werden.

Mehr als 54 Versuche sind nicht ausreichend, urteilte das LG Paderborn und der BGH bestätigte das.

Der Anwalt hat es bis 23:59 Uhr weiter zu versuchen:

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdebegründung durfte der Klägervertreter von weiteren Übermittlungsversuchen nach 20.00 Uhr nicht deshalb absehen, da er zuvor mehrfach versucht hatte, den Schriftsatz per Telefax zu übersenden, dies jedoch stets an der Belegung des Empfangsgeräts scheiterte. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, muss eine Partei hiermit und auch mit einer länger andauernden, durchgehenden Belegung des Faxgerätes des Gerichts – vorliegend am Nachmittag des 21. November 2017 über eine Dauer von zweieinhalb Stunden infolge des Empfangs eines umfangreichen Schriftsatzes – rechnen und deshalb weitere Übermittlungsversuche – auch nach 20.00 Uhr – unternehmen.

Kein Kommentar!

Stillstand der Rechtspflege beim LG Berlin

Stillstand? Wir haben am 31.07.2019 eine Klage beim Landgericht Berlin, Dienststelle Tegeler Weg eingereicht.

Am 20.08.2019 erhalten wir auf Nachfrage die Auskunft, daß die Erfassung der Klage noch nicht erfolgt sei und dies auch noch ca. 3 1/2 Wochen dauern werde. Die Eingangsregistratur sei nur mit zwei Personen besetzt und zur Zeit sei man mit den Eingängen vom 08.07.2019 beschäftigt.

Alle unsere Versuche die Erfassung zu beschleunigen, sind gescheitert.

Auf unsere Dienstaufsichtsbeschwerde an den Präsidenten des Landgerichtes läßt die Behörde sich entschuldigen und erklärt dies wie folgt:

  • Die Umstellung auf die Fachsoftware forumSTAR im November 2018 hat zu erheblichen Beeinträchtigungen geführt:
  • Eine routinierte Anwendung der Software, die eine ähnliche Verarbeitungsgeschwindigkeit wie zuvor gewährleistet, wird von den Mitarbeitenden aktuell nach und nach erreicht. Regelmäßig auftretende technische Schwierigkeiten, deren Behebung sich schwierig gestaltet, behindern diese Lernprozesse jedoch immer wieder.

  • Die Klageeingänge am Ende des letzten Jahres vervielfachten sich enorm [1].

Selbstverständlich weiß die Senatsverwaltung von diesen unhaltbaren Zuständen. Das Landgericht zitiert:

Die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zeigte sich zuversichtlich, dass „auch die personelle Verstärkung der Justiz in den kommenden zwei Jahren zu einer nachhaltigen Entlastung im Bereich des Servicepersonals führen wird, so dass die Klageverfahren am Landgericht Berlin wieder in angemessener Zeit erfasst werden.“

Weiter schreibt uns das Gericht:

Der Abbau der Bearbeitungsrückstände wird fortwährend vorangetrieben, gestaltet sich jedoch mühsam. Ein effektiver Personalzuwachs konnte bisher nicht verzeichnet werden. Enge Kontrollmechanismen sind eingeführt und selbstverständlich werden alle Möglichkeiten einer geänderten Organisation und Struktur geprüft und soweit möglich umgesetzt.

Diese Mißstände sind der Justiz und der Regierung seit Jahren bekannt. Schon vor Jahren haben wir auf diesen Stillstand der Rechtspflege verwiesen

Und die Kleine Anfrage von Cornelia Seibeld „Der 31.12. kommt für die Berliner Gerichte offenbar immer wieder überraschend“ wurde schon seinerzeit sehr zynisch beantwortet:

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes trifft die Partei bzw. ihren Prozessbevollmächtigten allerdings die Pflicht, binnen angemessener Frist wegen einer ausstehenden Vorschussanforderung nachzufragen (Urteil vom 29. Juni 1993 – X ZR 6/93: binnen drei Wochen).

Das dokumentiert das jahrelange Desinteresse der Politik an einem funktionierendem Gerichtsbetrieb. Vor 8 Jahren haben wir das als Rechtswegverweigerung bezeichnet.

  1. [1]das ist nun mal immer so am Ende eines Jahres und hat nicht unwesentlich mit dem Verjährungseintritt am Ende eines jeden Jahres zu tun
Selbstlseseband

Beistand

Das hat der Richter aber auf den Punkt gebracht:

Vor dem Hintergrund der gegebenen Sach- und Rechtslage und bei Inblicknahme der (anstehenden) Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls und der im zugehörigen Referentenentwurf[1] des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorgeschlagenen Anpassungen nationaler Vorgaben betreffend die Bestellung eines notwendigen Rechtsbeistandes für Verfolgte in Auslieferungssachen war Rudi Sorglos der von ihm benannte Rechtsanwalt als Beistand für das Auslieferungsverfahren zu bestellen (§§ 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG i.V.m.141 Abs. 4 StPO).

Ich kann mir nicht helfen, dieser Kanzleistil erinnert mich doch sehr an Ludwig Reiners Definition des Reichsgerichtes, mit der er auf die berühmte Definition der Eisenbahn reagierte:

Was ist ein Reichsgericht? Ein Reichsgericht ist eine Einrichtung, welche dem allgemeinen Verständnis entgegenkommen sollende, aber bisweilen durch sich nicht ganz vermeiden haben lassende, nicht ganz unbedeutende beziehungsweise verhältnismäßig gewaltige Fehler im Satzbau auf der schiefen Ebene des durch verschnörkelte und ineinander geschachtelte Perioden ungenießbar gemachten Kanzleistils herabgerollte Definitionen, welche das menschliche Sprachgefühl verletzende Wirkung zu erzeugen fähig sind, liefert.

Wir wissen nicht, was der freundliche Richter am OLG empfiehlt. Wir empfehlen für den Kanzleistil unter Anwälten unseren alten Beitrag: Kanzleistil

 

  1. [1]Mittlerweile gibt es schon den Regierungsentwurf, nachdem die Umsetzungsfrist nicht eingehalten wurde: RegE
Coins

Verschwendung

Die Verwaltung kann einfach nicht mit Geld umgehen.

Und natürlich wird das Ganze auch noch vom Gesetzgeber gefördert. Der hat eine Vorschrift in die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gepackt, die der Behörde im Gerichtsverfahren gestattet, 20 € Pauschale für Telekommunikations- und Portokosten vom Gegner einzuholen[1]. Da die Behörde regelmäßig keine Anwälte für die Prozeßführung hinzuzieht, sind das die einzigen der Behörde zu erstattenden Kosten.

Selbstverständlich verzichtet die Behörde nicht auf die 20 €.

  • Es wird ein Kostenfestsetzungsantrag erstellt. Ziemlich genau vier Monate nach Abschluß des Verfahrens.
  • Der Antrag wird an das Gericht gesandt und wird vom Kostenbeamten bearbeitet.
  • Der Antrag wird vom Gericht an die Gegenpartei mit der Gelegenheit zur Stellungnahme übersandt.
  • In Kenntnis des § 162 Abs. 2 Satz 3 VwGO beanstanden wir den Antrag nicht. Auch wenn es erstaunt, daß die Behörde sich für ihre Kosten auf das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bezieht. Bei uns entsteht also nur der Aufwand für die Verwaltung des Schriftstückes und die Entscheidung, nicht zu reagieren.
  • Der Kostenbeamte erläßt einen Kostenfestsetzungsbeschluß über 20 € zuzüglich Zinsen und stellt ihn uns und der Behörde zu.
  • Die Behörde muß den Beschluß verwalten und die Kosten ins Soll stellen.
  • Wir müssen den Beschluß verwalten und versenden ihn an die hinter unserem Mandanten stehende Rechtsschutzversicherung und bitten um direkten Ausgleich des Betrages an die Polizei.
  • Die Rechtsschutzversicherung rechnet die Zinsen aus und überweist den Gesamtbetrag an die Behörde. Wenn ohne Zinsen gezahlt wird kann sich dann natürlich weiterer spannender Schriftverkehr unter den Beteiligen entwickeln.
  • Die Versicherung informiert uns über die Zahlung.
  • Wir löschen die bei uns vermerkte Zahlungsfrist.
  • Bei der Behörde gehen 20 € ein. Der Zahlungseingang muß bearbeitet werden, die Sollstellung wird  ausgeglichen.

Ich kann mich des Eindruckes nicht verwehren, daß ich da noch ein paar Sachen nicht berücksichtigt habe. Sicher scheint mir aber, daß bei der Behörde der Aufwand deutlich höher als 20 € ist. Den Kollateralschaden beim Gericht, Anwalt und dem Rechtsschutzversicherer wollen und können wir auch nicht berechnen.

Tja, eine Lösung weiß ich auch nicht. Die Landeshaushaltsordnung sieht nur bei Kleinbeträgen bis zu 5 € vor, daß sie nicht angefordert werden sollen[2].

Oder weiß jemand, wie man diesen Unsinn rechtmäßig beenden kann?

 

 

  1. [1]§ 162 Abs. 2 Satz 3 VwGO
  2. [2] Anlage Nr. 2.6 zu § 59 LHO

Watschn aus Karlsruhe für den Gesetzgeber

Von den großen Presseorganen scheint sich keiner dafür zu interessieren. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hat mit der Entscheidung vom 07.02.2017 – 1 BGs 74/17 – den Antrag des Cum/Ex Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages auf Durchsuchung der Praxisräume von Anwälten abgelehnt.

Eine lesenswerte Entscheidung mit Nachhilfecharakter: Gewaltenteilung leicht gemacht. Was ist Aufgabe eines Untersuchungsausschusses, was die der Justiz.

Wirklich entsetzt hat mich aber, was die Damen und Herren Abgeordneten des Deutschen Bundestages, entsandt in den UA, so für Beschlüsse erlassen:

… Verlangen auf Herausgabe
1. sämtlicher mandatsbezogener Akten, Dokumente, in Dateien oder auf andere Weise gespeicherter Daten und sonstiger sächlicher Beweismittel, soweit sie sich auf Cum/Ex-Geschäfte im Untersuchungszeitraum beziehen,

Ist das die nackte Unkenntnis des Anwaltsgeheimnisses oder bewußt geschehen? Ist das nicht die Anstiftung zum Geheimnisverrat?