Politikverdrossenheit

Provinzposse aus der Hauptstadt. Verschlafen reibe ich mir die Augen ob der Überschrift auf der ersten Seite der Berliner Morgenpost:

Nußbaum fordert Gewerbesteuer für Freiberufler
Quelle: BM 20.05.2009

Habe ich bei der Föderalismusreform etwas verschlafen? Nein, der Herr Senator braucht Geld. Kaum im Amt, werden Forderungen an die Bundespolitik erhoben; beruhigt lehne ich mich zurück und lasse mich überraschen:

Berlins Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) fordert angesichts der drastischen Steuerrückgänge aufgrund der Wirtschaftskrise mehr Steuergerechtigkeit. Deshalb sollten Freiberufler künftig von einer bestimmten Einkommenshöhe an auch Gewerbesteuer zahlen, sagte Nußbaum am Dienstag. „Es ist nicht einzusehen, dass Freiberufler wie Ärzte, Anwälte oder Steuerberater, die gute Gewinne erwirtschaften, von der Gewerbesteuer befreit sind. Das ist keinem zu vermitteln.“

Ich erwarte ja von einem Berliner Senator gar nicht, daß er die Argumente für und wider Gewerbesteuer kennt. Aber wie kann ihn seine Verwaltung so einen Unsinn über die angebliche Steuerungerechtigkeit schwadronieren lassen? Das Bundesverfassungsgericht hat vor über einem Jahr der seit Jahrzehnten geltenden Regelung bescheinigt, daß sie nicht gegen die Verfassung verstößt und diese Unterscheidung auch ausführlich begründet:

Die freien Berufe und die ihnen gleichgestellten sonstigen Selbständigen werden daneben jedoch durch eine Reihe von Besonderheiten in der Ausbildung, der staatlichen und berufsautonomen Regelung ihrer Berufsausübung, ihrer Stellung im Sozialgefüge, der Art und Weise der Erbringung ihrer Dienstleistungen und auch des Einsatzes der Produktionsmittel Arbeit und Kapital geprägt, die sie in ihrem Typus als Berufsgruppe von den sonstigen Gewerbetreibenden unterscheiden

Die im Regelfall akademische oder vergleichbare besondere berufliche Qualifikation oder schöpferische Begabung als Voraussetzung für die Erlernung und Ausübung eines freien Berufs, die besondere Bedeutung der persönlichen, eigenverantwortlichen und fachlich unabhängigen Erbringung der Arbeit, verbunden mit einem häufig höchstpersönlichen Vertrauensverhältnis zum Auftraggeber, aber auch die spezifische staatliche, vielfach auch berufsautonome Reglementierung zahlreicher freier Berufe, insbesondere im Hinblick auf berufliche Pflichten und Honorarbedingungen, lassen bei der gebotenen typisierenden Betrachtung nach wie vor signifikante Unterschiede zwischen freien Berufen und Gewerbetreibenden erkennen.
Quelle: BVerfG 15.01.2008 1 BvL 2/04

„Das ist keinem zu vermitteln.“?
Herr Senator, ich will es Ihnen mit einfacheren Worten erklären und nicht so abstrakt, am besten mit Beispielen:

  • Anwälte haben ein besonderes Berufsrecht zu beachten, das ihnen im Interesse des Gemeinwohls auferlegt ist.
  • Wir erfüllen auf unsere Kosten staatliche Sozialaufgaben, beispielsweise durch „Pflichtverteidigungen“, Übernahme von Prozeßkostenhilfemandaten und Beratungshilfe.

Hat man Ihnen Zahlen vorgelegt? Wie hoch wären denn die geschätzten Einnahmen p/a? Diejenigen Freiberufler, die sich in den Rechtsformen der Kapitalgesellschaften organisiert haben, zahlen sowieso schon Gewerbesteuern und die mir bekannten Statistiken über Anwaltseinkommen lassen vermuten, daß von Anwälten kein weiteres Steueraufkommen zu erlangen wäre. Aber wehe dem Staatssäckel, wenn es für unsere unbezahlten Tätigkeiten aufkommen müßte.

Wie kann man seinen Minister so einen Unsinn publizieren lassen? Wäre es mein Laden, würden „Köpfe rollen“. Oder stinkt der Fisch vom Kopfe her?

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