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40.000 Seiten: Ich rief den Teufel und er kam

… Er lobte mein juristisches Streben,
Hat früher sich auch damit abgegeben.
Heine, Buch der Lieder

Diese Zeilen fielen mir bei der Entscheidung des Großen Senates für Strafsachen vom 12.01.2011 – GSSt 1/10 – ein. Man wollte den Beteiligten die stundenlange Verlesung des Anklagesatzes ersparen. Ich fürchtete Schlimmstes und es kam schlimmer:

Vor mir eine Anklage, die zum konkreten Anklagesatz auf die Daten einer beigefügten DVD verweist. Ich ließ die Daten durch ein entsprechendes hier vorrätiges Programm indexieren und wunderte mich ob der Auslastung des Rechners. Ergebnis: 40.000 Seiten als Bestandteil der Anklageschrift. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des 1. Senates:

Der konkrete Anklagesatz in den einschlägigen Verfahren muss einerseits die Schilderung der gleichartigen Tatausführung, welche die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands erfüllt, die Bezifferung der Gesamtzahl der Taten, die Bestimmung des Tatzeitraums sowie bei Vermögensdelikten die Bezifferung des Gesamtschadens umfassen. Andererseits sind – nach wie vor – auch die Auflistung der näheren individualisierenden tatsächlichen Umstände der Einzeltaten oder – namentlich in Fällen der Bewertungseinheit oder der uneigentlichen Oganisationsdelikte – die Auflistung der Einzelakte der Taten Teil des Anklagesatzes. Eine Ausgliederung der letztgenannten Auflistungen der Tatdetails in das Wesentliche Ergebnis der Ermittlungen oder an andere Stelle der Anklage ist demnach mit § 200 Abs. 1 Satz 1, § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht vereinbar. Auf der Grundlage der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen brauchen diese Auflistungen, die regelmäßig in tabellarischer Form die konkreten Tatzeitpunkte, die Tatorte, die Tatopfer und – bei Vermögensdelikten – die jeweiligen Einzelschäden bestimmen und dadurch die Einzeltaten näher individualisieren, jedoch nicht in der Hauptverhandlung verlesen zu werden. Vorzulesen ist lediglich die – regelmäßig in Fließtext abgefasste – allgemeine Schilderung der gleichartigen Tatausführung, in der die Merkmale des jeweiligen Straftatbestands dargelegt werden, die für alle Einzeltaten einheitlich gegeben sind.
Quelle: BGH 1 StR 260/09 v. 15.03.2011

Wetten, daß die keiner liest?

Nachtrag 15:30h:

Und als ich recht besah sein Gesicht,
Fand ich in ihm einen alten Bekannten.

 

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Jetzt reichts!

Einhandmesser

Gentleman-Messer gefunden bei Messerdepot

Da spielen sich Richter wieder zu Gesetzgebern auf; das Waffenrecht ist die Spielwiese der Gutmenschen geworden, die eine Verurteilung eines Kfz-Mechanikers bestätigten, der zwei Klappmesser in der Seitenablage seines Autos mitführte. Da wurde kräftig in der Werkzeugkiste des Juristen gekramt, um eine völlig unbestimmte Strafvorschrift zur Geltung zu bringen. Nach § 42a WaffG ist es verboten, Messer mit einhändig feststellbarer Klinge (Einhandmesser) oder feststehende Messer mit einer Klingenlänge über 12 cm zu führen, es sei denn, es liegt ein berechtigtes Interesse vor, das inbesondere dann vorliegt, wenn das Führen des Messers im Zusammenhang mit der Berufsausübung erfolgt, der Brauchtumspflege, dem Sport oder einem allgemein anerkannten Zweck dient. Das ist Jura 1. Semester Strafrecht. Die Vorschrift ist offensichtlich völlig unbestimmt und verstößt gegen Art. 103 II Grundgesetz.

Woher soll der Normanwender wissen, was ein berechtigtes Interesse und was ein allgemein anerkannter Zweck ist?

Die Richter des OLG Stuttgart erklären es wie folgt:

1. § 42 a Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 3 WaffG, wonach das Führen eines Einhandmessers erlaubt ist, wenn dies einem allgemein anerkannten Zweck dient, genügt dem Bestimmtheitserfordernis des Art. 103 Abs. 2 GG.

2. Das Führen eines Einhandmessers in einem Pkw durch eine Privatperson, um damit in einem eventuellen Notfall den Sicherheitsgurt durchschneiden zu können, dient keinem allgemein anerkannten Zweck i. S. d. § 42 a Abs. 3 WaffG
Quelle: OLG Stuttgart, Beschluß vom 14.6.2011, 4 Ss 137/11

In den Gründen heißt es dann:

Weiterlesen

Zuweisungsverordnung

Wo steht eigentlich geschrieben, daß in Berlin Straßenverkehrssachen zum AG Mitte gehen (§ 16) und Strafsachen beim AG Tiergarten (§1) landen?

In der Verordnung über die Zuweisung amtsgerichtlicher Zuständigkeiten (Zuweisungsverordnung – ZuwV) vom 8. Mai 2008; Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 2008, 116

EGVP

Es bietet sich an, diesen Text einzufügen. Ich habe es bei mir als Diktatbaustein eingerichtet:

Eine Beifügung oder Nachreichung von Abschriften ist entbehrlich (§§ 133 Abs. 1 Satz 2, 253 Abs. 5 Satz 2 ZPO; § 55a Abs. 2 Satz 2 VwGO; 65a Abs. 2 Satz 2 SGG); ggf. erforderliche Ausdrucke sind daher vom Gericht kostenfrei anzufertigen, § 3 II GKG, KV 9000 Nr. 2 i.V.m. Nr. 1 Anlage 1 zum GKG. Von elektronisch eingereichten Dokumenten sind durch die Geschäftsstelle ggf. beglaubigte Abschriften für die Zustellung zu fertigen (§ 169 Abs. 2 ZPO bzw. § 56 Abs. 2 VwGO, § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG iVm § 169 Abs. 2 ZPO; vgl. auch Zöller, § 133, Rn. 1; BT-DrS 15/4067 S. 31 zur Auslagenbefreiung)

Is doch nett, oder?

Nur kein Mitleid mit der Kreatur!

Sieht der Jäger verletztes Wild, muß er es erlösen –
erlöst er ein tödlich verwundetes Tier einer streng geschützten Art, wird er streng bestraft.

So jedenfalls das OLG Celle in seiner Entscheidung vom 23.05.2011 – 32 Ss 31/11

1.
Die Tat des Angeklagten war nicht nach dem BNatSchG gerechtfertigt oder erlaubt.
a)
Das Handeln des Angeklagten unterfällt keinem der Ausnahmetatbestände des § 43 BNatSchG a. F. Zwar erlaubt § 43 Abs. 6 BNatSchG a. F. abweichend von § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG a. F. die Inbesitznahme verletzter oder krankerTiere, dies aber nur, um sie gesund zu pflegen und unverzügiich wieder freizulassen. Ist eine Gesundpflege mit dem Ziel der Wiederaussetzung hingegen nicht möglich, ist das verletzte bzw. kranke Tier bei der zuständigen Behörde abzugeben (vgl. Erbs/Kohlbaas-Dr. Stöckel/Dr. Müller, § 43 Rdnr. 13; Kratsch in Schumacher/Fischer-Hüftle, Bundesnaturschutzgesetz, 2. Aufl. zu § 45 n.F. Rdnr. 21 ). Ein Recht zur Tötung verletzter Tiere folgt aus § 43 Abs, 6 BNatSchG a. F. gerade nicht, es folgt daraus eine Pflicht zur Abgabe an die zuständige Behörde.
b)
Im Gegensatz zu § 41 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG a.F., der den Mindestschutz aller wildlebenden Tiere und Pflanzen sichern soll, enthält § 42 BNatSchG a.F. (ebenso wie § 44 BNatSchG n.F.) als Schutzvorschrift für besonders geschützte Arten keine Eingriffsbefugnis ,,aus vernünftigem Grund“. Daher kann im Schutzbereich des § 42 BNatSchG a.F. das Ergebnis einer bloßen Güter- und Interessenabwägung grundsätzlich nicht genügen, um einen Eingriff zu rechtfertigen (vgl. Erbs/Kohlhaas – Dr. Stöckel/Dr. Müller, BNatSchG, § 42 Rdnr. 5). Die Verbote des § 42 BNatSchG sind daher vom Beweggrund und der Motivation des Handelnden unabhängig und schließen eine Eingriffsbefugnis auch dann aus, wenn in anderen Fällen ein „vernünftiger Grund“ zum Eingreifen anerkannt werden könnte (vgl. Kratsch in Schumacher/Fischer – Hüftle, BNatSchG, 2. Aufl., zu § 44 a.F. Rdnr. 9).

2.
Der Angeklagte war auch nicht gem. § 22a Abs. 1 BJagdG berechtigt, den angeschossenen Wolf zu töten bzw. dies zu versuchen.

Das Jagdrecht findet auf Wölfe keine Anwendung, weil der Wolf kein jagdbares Wild im Sinne von § 2 Abs. 2 BJagdG ist. Da der Wolf zudem ausdrücklich im Artenschutzrecht genannt wird, ist das Artenschutzrecht spezieller und geht dem Jagdrecht vor (vgl. Erbs/Kohlhaas-Dr. Stöckel, § 39 Rdnr. 13 d). Hieraus folgt, dass ein Jäger die Verbote des § 42 BNatSchG a. F. zu beachten hat und, weil er sich insoweit außerhalb des Anwendungsbereichs des Jagdrechts befindet, grundätzlich jedem anderen Normadressaten des BNatSchG gleichsteht.

3.
Das Verhalten des Angeklagten war auch nicht gemäß §§ 1 Satz 2, .17 Nr.1 TierschG aus vernünftigem Grund gerechtfertigt, weil das TierschG das Artenschutzrecht jedenfalls unter den hier vorliegenden Umständen nicht verdrängt.

Aus der Unberührtheitsklausel des § 39 Abs. 2 BNatSchG a. F. ergibt sich, dass ein genereller Vorrang des Tierschutzrechts nicht besteht. Es ist vielmehr im Einzelfall der Vorrang einer Norm des Tierschutz- oder des Artenschutzrechts zu prüfen. Entscheidend ist dabei der Schutzzweck der Norm (vgl. Erbs/Kohlhaas- Dr. Stöckel, § 39 Rdnr.8) Soweit es um die Tötung eines Tieres geht, also die Arterhaltung im Vordergrund steht, sind die artenschutzrechtlichen Vorschriften anzuwenden; soweit es um die Methode der Tötung geht, also der Tierschutz im Vordergrund steht, sind die tierschutzrechtlichen Vorschriften einschlägig (vgl. Erbs/Kohlhaas- Dr. Stöckel/BNatSchG, § 39 Rdnr. 8).

4.
Das Verhalten des Angeklagten erfüllt auch nicht dle rechtlichen Merkmale eines aus dem Grundgedanken von §§ 1 Satz 2, 17 Nr. 1 TierSchG und § 22a Abs. 1 BJagdG entwickelten Rechts, ein verletztes Tier zu töten, um es vor Schmerzen oder Leiden zu bewahren.

Ein solches Recht könnte überhaupt nur eingreifen, wenn die Tötung erfordrlich ist. Erforderlich ist die Tötung eines verletzten Tieres aber erst dann, wenn es nicht eingefangen und einer tierärztlichen Versorgung zugeführt werden kann und alle lebensrettenden Maßnahmen ergriffen worden sind (vgl. Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz,
6. Aufl.·, § 1 Anhang Rdnr.· 76; Ort/Reckewell in Kluge, Tierschutzgesetz, § 17 Rdnr. 174; OLG Karlsruhe; NJW 1991 S. 116 f.).

Der Angeklagte hat aber keinerlei Versuch unternommen, eine tierärztliche Versorgung, ggf. durch Kontaktaufnahme zu anderen Jagdteilnehmern oder dem Jagdveranstalter zu organisieren und er hat auch sonst keine Anstalten unternommen, seiner Meldepflicht nach § 43 Ab. 6 BNatSchG a.F. nachzukommen und die zuständige Behörde über das verletzte Tier zu informieren. Der Angeklagte hat nicht einmal eine Nachschau vorgenommen, bevor er geschossen hat. Zwischen ihm und dem gesondert Verfolgten … befand sich eine freie abgeerntete Ackerfläche, sodass er durch Rufen oder in die Luft schießen auf sich hätte aufmerksam machen können. Schließlich hat sich der Angeklagte nach dem Schuss, im Widerspruch zu § 22 a BJagdG (vgl. Schuck, BJagdG, § 22 a, Rdnr. 3), auch nicht vom Tod des Tieres überzeugt. Er hat durch seinen Schuss dem Wolf vielmehr eine weitere Verletzung zugefügt, dadurch die Schmerzen und Leiden des Tieres noch erhöht und es danach fast vier Stunden verletzt liegen lassen, ohne auch in dieser Zeit irgendeine der notwendigen Maßnahmen zu veranlassen.

Der Senat braucht danach nicht darauf einzugehen, ob die Tötung eines streng geschützten Tieres unter ganz besonders engen Voraussetzungen ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann (in diese Richturg wohl Schmidt/Lüders: Der Schutzstatus der Wölfe in Deutschland – Aktueller Stand und Perspektiven S. 34, 43), denn solche Voraussetzungen liegen nicht vor.

5.
Der Angeklagte handelte auch nicht ohne Schuld. Soweit er irrtümlich der Meinung gewesen ist, zu einer Tötung des Wolfes berechtigt zu sein, hat er sich in einem ersichtlich vermeidbaren Verbotsirrtum i. S .v. § 17 StGB befunden.

Nach den Feststellungen des Landgerichts wusste der Angeklagte, dass ein Wolf nicht bejagt werden darf. Bei näherem Nachdenken wäre er aufgrund seines besonderen Wissens als Jäger auch ohne Weiteres zu der Einsicht gekommen, dass das Töten eines -Wolfes, im Gegensatz zu jagdbarem Wild, auch dann nicht erlaubt oder gerechtfertig tsein kann, wenn dieser Wolf verletzt ist. Zwar hätten die Zeugen K und Ni , im Gegensatz zu dem Zeugen B näch eigenen Angaben den Wolf ebenfalls „erlöst“. Sie hätten es aber in dem Wissen getan, dass dies nicht erlaubt ist, sie wussten also um das Verbot. Wenn der Angeklagte es, wie er meint, nicht wusste, so war dieser lrrtum vermeidbar.

Wir hatten zu dem Thema bereits berichtet:
Wolf und Recht
Wolf im Westen – Wolf im Osten

Wir sind sehr vorsichtig mit Richterschelte. Ich kann aber nicht nachvollziehen, warum sich der Senat nicht sachverständig hat beraten lassen. Auch ohne sachverständigen Rat über den Ablauf einer Drückjagd sollte einem Oberlandesgericht ein Blick in die UVV Jagd gut zu Gesichte stehen, ehe es diese dagegen verstoßende Verhaltensalternativen aufstellt. Ich bin ja gespannt, ob bei den nächsten Jungjägerausbildungen diese Hinweise aufgenommen werden:

sodass er durch Rufen oder in die Luft schießen auf sich hätte aufmerksam machen können. Schließlich hat sich der Angeklagte nach dem Schuss, im Widerspruch zu § 22 a BJagdG (vgl. Schuck, BJagdG, § 22 a, Rdnr. 3), auch nicht vom Tod des Tieres überzeugt. Er hat durch seinen Schuss dem Wolf vielmehr eine weitere Verletzung zugefügt, dadurch die Schmerzen und Leiden des Tieres noch erhöht und es danach fast vier Stunden verletzt liegen lassen, ohne auch in dieser Zeit irgendeine der notwendigen Maßnahmen zu veranlassen.

Meine Sympathien hat der Verurteilte. Er hat versucht, die Kreatur von ihrem Leid zu erlösen. Diese Verhalten war ethisch alternativlos.